[9] "… 1. Entgegen der Auffassung der Revisionen hat das BG mit Recht ein Vorfahrtsrecht des Busses angenommen, auch wenn dieser die als Fahrbahnbegrenzung dienende unterbrochene Linie überfuhr, um die Haltestelle zu erreichen."
[10] a) Gem. § 8 Abs. 1 S. 1 StVO in der hier maßgeblichen Fassung v. 22.3.1988 hat an Kreuzungen und einer – hier vorliegenden – Einmündung Vorfahrt, wer von rechts kommt. Das gilt nicht, wenn die Vorfahrt – wie hier durch das Zeichen 205 – besonders geregelt ist (§ 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO). Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insb. durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen, dass er warten wird. Er darf nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert (§ 8 Abs. 2 S. 1, 2 StVO a.F.).
[11] Die gesetzliche Vorfahrtsregelung soll den zügigen Verkehr auf bevorrechtigten Straßen gewährleisten und damit durch klare und sichere Verkehrsregeln auch der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen (vgl. Senat, Urt. v. 9.3.1971 – VI ZR 137/69, BGHZ 56, 1, 4; BGH, Urt. v. 9.7.1965 – 4 StR 282/65, BGHSt 20, 238, 240; v. 15.7.1986 – 4 StR 192/86, BGHSt 34, 127, 130). Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich auf die gesamte Fläche der Kreuzung oder des Einmündungsbereichs. Der Vorfahrtsbereich wird bei rechtwinklig einmündenden Straßen und bei rechtwinkligen Straßenkreuzungen von den Fluchtlinien der Fahrbahnen beider Straßen gebildet. Bei einer trichterförmig erweiterten Einmündung erstreckt sich die Vorfahrt nicht nur auf das durch die Fluchtlinie der Fahrbahnen beider Seiten gebildete Einmündungsviereck, sondern umfasst auch die ganze, bis zu den Endpunkten des Trichters erweiterte bevorrechtigte Fahrbahn (vgl. Senat, Urt. v. 16.11.1962 – VI ZR 19/62, VersR 1963, 279; v. 9.3.1971 – VI ZR 137/69, a.a.O., 4 ff.; v. 7.6.1983 – VI ZR 83/81, VersR 1983, 837, 838; BGH, Urt. v. 9.7.1965 – 4 StR 282/65, a.a.O. m.w.N.).
[12] Nach dieser Rspr. hat der Fahrer, der dem Verlauf einer nach links abknickenden Vorfahrtsstraße nicht folgt, sondern geradeaus weiterfährt, in dem gesamten Kreuzungsbereich die Vorfahrt gegenüber dem von rechts kommenden Verkehr (Senat, Urt. v. 9.3.1971 – VI ZR 137/69, a.a.O.; v. 7.6.1983 – VI ZR 83/81, a.a.O.). Eine Markierung des Verlaufs des bevorrechtigten Straßenzugs auf der Kreuzung durch eine rechtsseitig verlaufende bogenförmige unterbrochene weiße Linie ändert nichts am Umfang der Vorfahrtsberechtigung. Vielmehr beschränkt sich die Bedeutung der Markierung darauf, den Verkehrsteilnehmern zur Erleichterung der Orientierung den Verlauf des bevorrechtigten Straßenzuges anzuzeigen (Senat, Urt. v. 7.6.1983 – VI ZR 83/81, a.a.O.; OLGR Hamm 1996, 170, 171). Der Benutzer einer bevorrechtigten Straße ist gegenüber den Verkehrsteilnehmern, die auf einer einmündenden oder die Vorfahrtsstraße kreuzenden nicht bevorrechtigten Straße herankommen, auch dann vorfahrtsberechtigt, wenn er in diese Straße einbiegt, und zwar so lange, bis er die Vorfahrtsstraße mit der ganzen Länge seines Fahrzeugs verlassen hat (vgl. BGH, Urt. v. 7.1.1959 – 4 StR 313/58, BGHSt 12, 320, 323; OLG Düsseldorf, VersR 1966, 1056; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVO Rn 29). Es gibt keinen Übergang der Vorfahrt auf den Wartepflichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1952 – 4 StR 18/52, VRS 4, 429, 430; König, in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O.).
[13] b) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall die Kollision zu einem Zeitpunkt erfolgt, als der drittwiderbeklagte Busfahrer vorfahrtsberechtigt und der Bekl. zu 1) wartepflichtig war. Der Bus näherte sich unstreitig auf der vorfahrtsberechtigten Straße und war im Begriff, diese zu verlassen, um die kurz hinter der Einmündung der nachgeordneten Straße befindliche Bushaltestelle anzufahren. Er hatte die Vorfahrtsstraße zum Zeitpunkt der Kollision noch nicht mit der ganzen Länge verlassen, vielmehr befand sich der überwiegende Teil des Busses noch auf dieser. Demgemäß musste der Bekl. zu 1) bei der Annäherung an die Einmündung die Vorfahrt des Busfahrers beachten und durfte diesen weder gefährden noch wesentlich behindern (§ 8 Abs. 2 S. 1 und 2 StVO a.F.).
[14] 2. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, dass das BG aufgrund einer Abwägung gem. § 17 Abs. 1 StVG eine volle Haftung der Bekl. angenommen und eine (Mit-)Haftung der Kl. verneint hat. Eine Ersatzpflicht des Drittwiderbeklagten ist mangels Verschuldens ausgeschlossen (§ 18 Abs. 1 S. 2 StVG, § 823 BGB).
[15] a) Das BG hat mit Recht einen Sorgfaltsverstoß und mithin ein Verschulden des Drittwiderbeklagten verneint. Dieser musste, um im normalen Fahrverlauf ohne besonders starke Brems- oder Lenkbewegungen die Haltestelle zu erreichen, die unterbrochene Linie überfahren. Er fuhr mit geringer Geschwindigkeit. Auch wenn davon auszugehen ist, dass er das Fahrzeug des Bekl. zu 1) wahrgenommen hat, durfte er grds. darauf vertrauen, dass der Bekl. zu 1) rechtzeitig anhalten würde. Dieser hat...