Die unter § 35 Abs. 1, 1a bzw. 5a StVO fallenden Hoheitsträger sind von den Verkehrsvorschriften unter Beachtung des Abs. 8 und der dargelegten Voraussetzungen von den Verkehrsvorschriften befreit. Dies führt jedoch nach einem Verkehrsunfall mit einem anderen Verkehrsteilnehmer nicht zwangsläufig dazu, dass der andere Verkehrsteilnehmer und sein Kfz-Haftpflichtversicherer voll haften. Auch gegen den Hoheitsträger können mitunter Schadensersatzansprüche gem. § 839 BGB, Art. 34 GG erfolgreich durchgesetzt werden. Dem Halter und Fahrer des Sonderrechtsfahrzeugs obliegt nämlich die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Umstände, die eine Inanspruchnahme des Sonderrechts rechtfertigen.
Der Maßstab der Verursachungsbeiträge bei Verkehrsunfällen mit Fahrzeugen, die Sonderrechtsfahrten wahrnehmen, richtet sich nach den allgemeinen Regeln, also vornehmlich nach § 17 Abs. 1, 2 StVG. Neben den obigen Ausführungen ist bei der Haftungsquote auch das Nachfolgende zu berücksichtigen:
Andere Verkehrsteilnehmer sind gegenüber dem Einsatzfahrzeug verpflichtet, beiseite oder rechts heran zu fahren, ggf. sogar anzuhalten, bis sie beurteilen können, ob sie das Einsatzfahrzeug behindern. Ein wahrnehmungsbereiter Verkehrsteilnehmer wird auch das eingeschaltete Martinshorn in der Regel schon von weitem hören können und das Blaulicht sehen.
Der Sonderrechtsfahrer darf im Gegenzug nicht darauf vertrauen, dass alle Kraftfahrzeugführer auf einer stark befahrenen Querstraße die Annäherung des Einsatzfahrzeuges erkennen. Wenn er aber aus den Umständen schließen kann, dass alle im Gefahrenbereich befindlichen Verkehrsteilnehmer die Signale wahrgenommen haben, darf darauf vertraut werden, dass ihm freie Bahn verschafft werden wird.
Einige neuere Beispiele aus der Rechtsprechung:
Das OLG Frankfurt hatte sich als Berufungsgericht mit den Sonderrechtsfahrten nach § 35 StVO zu befassen. Bei einer Sonderrechtsfahrt war es zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht und einem weiteren Verkehrsteilnehmer gekommen. Der Rettungswagen der Beklagten hatte – insoweit unstreitig – Sonderrechte nach den §§ 35 und 38 StVO wahrgenommen. Der Notfalleinsatz sollte der Reanimation eines Menschen dienen. Das Einsatzfahrzeug fuhr mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht in eine Kreuzung ein. Den Fahrtrichtungsanzeiger hatte es – ebenfalls unstreitig – frühzeitig gesetzt. Der Beklagte zu 1), der Fahrer des Rettungswagens, fuhr entgegen der regulären Fahrtrichtung auf der nicht dafür vorgesehenen Fahrspur. Der eigentlich dafür vorgesehene Linksabbiegerstreifen war blockiert. Das klägerische Fahrzeug bewegte sich zu diesem Zeitpunkt noch Richtung Kreuzungsmitte, hatte den Rettungswagen aber wahrgenommen. Hierbei kam es zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Rettungswagen der Beklagten zum Zusammenstoß.
Das OLG Frankfurt hat die Klage in der Berufungsinstanz abgewiesen. Es kam zu dem Ergebnis, dass weder der Beklagte zu 1) noch die Klägerin den Unabwendbarkeitsbeweis nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG führen konnten. Im Rahmen der Abwägung des § 17 Abs. 1 StVG entschied es, dass der Verstoß des Klägers höher anzusiedeln sei, als der des Beklagten zu 1). Denn dieser könne sich auf die Sonderrechte der §§ 35 Abs. 5a und 38 Abs. 1 S. 2 StVO berufen.
Nach zutreffender Ansicht des OLG Naumburg muss der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges sich vor dem Einfahren in den für den Gegenverkehr durch Ampelschaltung mit "grün" freigegebenen Kreuzungsbereich vergewissern, dass das Sondersignal von den übrigen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen worden ist. Dem eigentlichen Gefahrenbereich, der kreuzenden Gegenfahrbahn, darf er sich nur mit einer Geschwindigkeit nähern, die ihm noch ein Anhalten ermöglicht. Ob zwischen den Unfallbeteiligten eine Haftungsquote und ggf. welche zu bilden ist, ist nach den weiteren Umständen des Falles zu entscheiden (hier 20 % für den Unfallgegner aus Betriebsgefahr).
Das AG Villingen-Schwenningen entschied, dass bei der Kollision zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Rettungsfahrzeug zulasten des Kraftfahrzeugführers zu werten sei, dass er das mit Blaulicht und Martinshorn fahrende Rettungsfahrzeug wegen der nicht vom Schnee befreiten Heckscheibe und des in seinem Fahrzeug wegen der hochgeschalteten Lüftung herrschenden hohen Geräuschpegels nicht frühzeitig bemerken konnte. Auf Seiten des Fahrers des Rettungswagens sei zu berücksichtigen, dass dieser zwar unter Einsatz von Sonderrechten fuhr, ihn dies aber nicht von der Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer entbunden habe. Deshalb sei von jeweils hälftigen Verursachungsbeiträgen auszugehen.