ZPO § 287
Leitsatz
Eine ausreichende Zurechnung von behauptete Sekundärverletzungen nach einem Auffahrunfall gem. § 287 ZPO setzt voraus, dass die unfallbedingte Entstehung und Fortdauer der behaupteten Beschwerden wahrscheinlicher ist als ihre unfallunabhängige Entstehung und Fortdauer.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG München, Urt. v. 6.3.2015 – 10 U 824/14
Sachverhalt
Die Kl. macht gegen die Bekl. Anspruch auf den Ersatz von Behandlungskosten, Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden, Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. für künftige Schäden nach einem Verkehrsunfall v. 17.1.2015 geltend. Sie saß am Unfalltag als angeschnallte Beifahrerin in dem von ihrem Ehemann gesteuerten Pkw. Als ihr Ehemann an einer Rotlicht zeigenden Ampel den Pkw anhielt, fuhr die Bekl. zu 2) mit ihrem, bei der Bekl. zu 1) haftpflichtversicherten Pkw auf das Heck des Pkw des Ehemann der Kl. auf, wodurch ein Sachschaden an diesem Pkw von 618,81 EUR entstand. In der Folgewochen ging die Kl. ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin bei einer täglichen Arbeitszeit von 6 Stunden nach. Wegen Beschwerden in dem Beriech ihrer HWS und des Nackens sowie wegen Verspannungen bis in den Kopf begab sich die Kl. in die Behandlung ihres Hausarztes, der ihr Arbeitsunfähigkeit bescheinigte und ein Rezept für Krankengymnastik ausstellte. Die Kl. begab sich weiterhin in die Behandlung eines Sportmediziners. Die Beschwerden verschlimmerten sich, so dass die Kl. für die Zeit vom 16.1.2012 bis zum 19.6.2012 krankgeschrieben wurde und von mehreren Fachärzten für Unfallchirurgie, Chirurgie und Orthopädie über Monate hinweg mittels Injektionen in die Halswirbelsäule behandelt wurde und Schmerzmittel einnahm.
Zur Begründung der von ihr geltend gemachten Ansprüche hat die Kl. vorgetragen, die ziehenden Beschwerden im Bereich der HWS seien erstmals am Folgetag des Unfalls am 8.1.2012 aufgetreten und hätten sich in den Tagen nach dem Unfall und in der Folgewoche verschlimmert. Die ersten sechs Monate nach dem Unfall sei sie wie in einem Karussell gewesen und ständig gespritzt worden. Unfallbedingt würden ihr beginnend etwa 1 Jahr nach dem Unfall nachts die Hände einschlafen weshalb sie eine Handgelenksschiene benötige, bei Wetterumschwüngen habe sie Kopfdruck und sehe dementsprechend schlechter. Die Bekl. haben bestritten, dass die Kl. bei dem Unfall Verletzungen erlitten habe.
Das LG hat nach Einholung eines unfallanalytischen und eines unfallchirurgischen Gutachtens die Bekl. u.a. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 300 EUR verurteilt. Der Entscheidung hat das LG zugrunde gelegt, dass die von der Kl. angegebenen Beschwerden jedenfalls ab dem 16.1.2012 nicht mehr auf das Unfallereignis zurück zu führen seien. Die Berufung der Kl., mit der sie ein Schmerzensgeld von mindestens 6.900 EUR verlangt hat, hatte keinen Erfolg.
Der Senat wies die Berufung nach Anhörung der Kl., der Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens, eines radiologischen Zusatzgutachtens und der Ergänzung und Erläuterung des in der ersten Instanz eingeholten unfallchirurgischen Gutachtens zurück.
2 Aus den Gründen:
" … Die statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg."
I. Das LG ging im Ergebnis zutreffend davon aus, dass die von der Kl. geklagten Beschwerden jedenfalls ab 16.1.2012 nicht mehr mit der erforderlichen, aber auch ausreichenden Wahrscheinlichkeit gem. § 287 ZPO dem Unfallereignis zuzuordnen sind. Die unfallbedingte Verletzung der Halswirbelsäule und die dadurch ausgelösten, dem Unfall zuzuordnenden Beschwerden für die Zeit vor dem 16.1.2012 sind durch das ausgeurteilte Schmerzensgeld ausreichend abgegolten. Da die Kl. in der Woche nach dem Unfall trotz der vorhandenen Beschwerden ihrer Tätigkeit als Kindergärtnerin nachging, wies das LG zutreffend darauf hin, dass es weiteren Vortrages bedurft hätte, inwieweit die Kl. in diesem Zeitraum in ihrer Fähigkeit zur Haushaltsführung beeinträchtigt war. Ein solcher erfolgte auch im Berufungsverfahren nicht. Da Zukunftsschäden unfallbedingter Art nicht zu befürchten sind, ist für die Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden kein Raum.
1. Mit dem Nachweis, dass der Unfall zu einer HWS-Distorsionsverletzung und damit zu einer Körperverletzung der Kl. geführt hat, steht der Haftungsgrund fest.
2. Ob über diese Primärverletzung hinaus der Unfall auch für weitere Beschwerden der Kl. ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich gem. § 287 ZPO beurteilt (BGH VersR 2003, 474 = NJW 2003, 1116 = DAR 2003, 217; NJW 2004, 777, 778; KG VersR 2004, 1193 = VRS 106 [2004] 260; Senat, Urt. v. 28.7.2006 – 10 U 1684/06 [juris]; OLG Schleswig NZV 2007, 203; Müller, VersR 2003, 137 [142 unter III 1, 2]). Bei der Ermittlung dieses Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden unterliegt der Tatrichter also nicht den strengen Anforderungen des § 268 ZPO, vielmehr ist er nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt: Zwar kann der Tatrichte...