BRAO § 43a Abs. 4
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt vertritt entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen, wenn er mehrere Geschädigte eines Verkehrsunfalls vertritt, von denen einer dem anderen zugleich als Schädiger neben dem in Anspruch genommenen Schädiger gesamtschuldnerisch haften kann.
LG Saarbrücken, Urt. v. 16.1.2015 – 13 S 131/14
Sachverhalt
Die Kl. macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Die Kl. und eine andere Frau waren Fahrgäste in einem Linienbus der Bekl. Aufgrund einer Vollbremsung des Linienbusses stürzte Frau X auf die Kl., die zu Fall kam und verletzt wurde. Die Prozessbevollmächtigte der Kl. machte für diese und Frau X Schadensersatzansprüche gegen die Bekl. geltend. Nach teilweiser Regulierung der Ansprüche durch die Bekl. nimmt diese Frau X wegen einer Mithaftung in Regress. Die Kl. hat vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten wegen der Inanspruchnahme der Bekl. geltend gemacht. Die Bekl. hat sich zu ihrer Begründung des Klageabweisungsantrags darauf bezogen, dass der Prozessbevollmächtigten der Kl. die Prozessvollmacht gefehlt habe, weil ihre Anwälte sie wegen einer Interessenkollision nicht hätten vertreten dürfen. Das AG hat unter teilweiser Klageabweisung die Bekl. im Wesentlichen verurteilt und zur Begründung ausgeführt, der Prozessbevollmächtigten der Kl. könne weder ein Parteiverrat noch eine Interessenkollision vorgeworfen werden. Die mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung eingelegte Berufung der Bekl. hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Zwar ist die Prozessvollmacht der Kl., wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, unabhängig vom Vorliegen einer Interessenkollision wirksam (vgl. OLG Brandenburg MDR 2003, 1024; OLG Rostock AnwBl. 2008, 633; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 1. Teil Rn 18). Die Kl. ist jedoch wegen der Inanspruchnahme der Bekl. keiner Honorarforderung ihrer Prozessbevollmächtigten ausgesetzt."
1. Dabei kann dahinstehen, ob ein Rechtsanwaltsvertrag nach § 134 BGB nichtig ist, wenn ein Rechtsanwalt entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertritt (tendenziell verneinend BGH, Urt. v. 23.4.2009 – IX ZR 167/07, ZIP 2009, 1767 ff.; offen gelassen von BGH, Urt. v. 19.9.2013 – IX ZR 322/12, WM 2014, 87; BGH, Urt. v. 23.10.2003 – IX ZR 270/02, WM 2004, 478 f.). Jedenfalls entfällt in einem solchen Fall der Anspruch auf gesetzliche Gebühren, die zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verstoß geschieht, noch nicht verdient sind (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2009 a.a.O.; Vollkommer/Greger/Heinemann a.a.O. Rn 18; Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43a Rn 210; Fahrendorf/Mennemeyer Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rn 670; Rinkler in: Zugehör u.a., Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Teil 1 Rn 49).
2. So liegt der Fall hier. Die von der Kl. beauftragten Rechtsanwälte haben entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertreten.
a) Die Vertretung der Kl. und der weiteren Geschädigten … erfolgte in derselben Rechtssache. Ausreichend hierfür ist jeder Sachverhalt, der zwischen mehreren Beteiligten – auch mit möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen – nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039; Urt. v. 25.6.2008 – 5 StR 109/07, BGH St 52, 307), wobei auch eine Teilidentität des Sachverhalts ausreicht (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012- AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039; OLG Hamburg, OLGR 2001, 173; Söhnlein in: Feuerich u.a., BRAO, 8. Aufl. 2012, § 43a BRAO Rn 60). Diese Voraussetzungen sind bei Geltendmachung von Schadensersatz aufgrund ein und desselben Verkehrsunfalls erfüllt.
b) Zwischen den Interessen der Kl. und der weiteren Geschädigten … bestand auch ein Interessengegensatz.
aa) Die Interessen, die der Anwalt im Rahmen des ihm erteilten Auftrags zu vertreten hat, sind objektiv zu bestimmen. Grundlage der Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO sind das Vertrauensverhältnis von Rechtsanwalt und Mandant, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 a.a.O.). Bei der Beurteilung der Interessen der Mandanten kommt den subjektiven Vorstellungen der Mandanten zwar entscheidende Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – IX ZR 190/07, juris). Ein objektiv vorhandener Interessenwiderspruch lässt sich jedoch nicht durch den Hinweis darauf auflösen, dass der Mandant mit der Mandatserteilung selbst bestimmen könne, in welche Richtung und in welchem Umfang der Anwalt seine Interessen wahrnehmen möge (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 a.a.O.). Der Interessengegensatz muss allerdings konkret gegeben sein, das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt genügt demgegenüber nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 16.1.2013 – IV ZB 32/12, VersR 2013, 733; Urt. v. 23.4.2012 a.a.O.). Ein Vertretungsverbot nach § 43a Abs. 4 BRAO besteht dabei ...