RVG § 17 Nr. 10a; VV RVG Nr. 7000 Nr. 1
Leitsatz
Die Fotokopien für das Ermittlungsverfahren und das erstinstanzliche Verfahren sind gesondert zu berechnen, so dass dem Rechtsanwalt der höhere Auslagenbetrag für die ersten 50 Seiten in jedem dieser Verfahren zusteht.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 30.6.2015 – 2 Ws 10/15
Sachverhalt
Der im Ermittlungs- und Strafverfahren als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt des Verurteilten hat mit seinem Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung die Dokumentenpauschale für die erste Instanz und das Ermittlungsverfahren wie folgt geltend gemacht:
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Ermittlungsverfahren, Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG
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72 Seiten (50 Seiten x 50 Cent; 22 Seiten x 15 Cent): EUR 28,30 netto |
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Hauptverfahren, Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG
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51 Seiten (50 Seiten x 50 Cent; 1 Seite x 15 Cent): EUR 25,15 netto. |
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Der Urkundsbeamte der Geschäftstelle des AG Frankfurt hat dem Festsetzungsantrag insoweit entsprochen.
Die die Staatskasse vertretende Bezirksrevisorin hat dagegen Erinnerung und gegen die hierauf ergangene Entscheidung des LG Frankfurt Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass die Kopien für das Ermittlungsverfahren und das Hauptverfahren einheitlich zu zählen und zu berechnen sind. Deshalb seien nur für die ersten 50 Kopien des Ermittlungs- und Hauptverfahrens insgesamt 50 Cent pro Kopie anzusetzen, für die übrigen 73 Kopien jeweils 15 Cent.
Die zugelassene weiter Beschwerde der Bezirksrevisorin hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"II. 1. Die weitere Beschwerde ist zulässig."
2. Die weitere Beschwerde ist allerdings nicht begründet. Das AG wie auch das LG haben zu Recht dem Antrag des Pflichtverteidigers in Bezug auf die geltend gemachten Kopierkosten vollumfänglich stattgegeben.
a) Die Erstattung von Kopierkosten des Rechtsanwalts richtet sich nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG. Danach sind die für angefertigte Kopien angefallenen Auslagen des Rechtsanwalts pauschaliert für die ersten 50 abzurechnenden Seiten i.H.v. 50 Cent, für jede weitere Seite i.H.v. 15 Cent zu erstatten. Aus dem Wortlaut des genannten Auslagentatbestandes im VV RVG ergibt sich nicht, ob diese Pauschale für das Ermittlungs- und erstinstanzliche Verfahren insgesamt nur ein Mal oder für das Ermittlungs- und das erstinstanzliche Verfahren jeweils, also insgesamt zwei Mal, angesetzt werden kann. Je nachdem wären im vorliegenden Fall entweder 50 Kopien oder 100 Kopien mit dem erhöhten Satz abzurechnen.
b) Die Auslagenpauschale Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG ist im Lichte der gesetzlichen Regelung in § 17 Nr. 10 RVG, der durch das am 1.8.2013 in Kraft getretene 2. KostRMoG (vgl. zur alten Rechtslage noch BGH zfs 2013, 168 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 105 (Hansens) = AGS 2013, 56) neu eingeführt wurde, auszulegen. In § 17 Nr. 10 RVG ist geregelt, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten darstellen. Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber die Frage der “verschiedenen Angelegenheiten’ in Bezug auf das Gebührenrecht entschieden und dabei auch die Auswirkungen auf die Auslagentatbestände (“in erster Linie … auf die in jeder Angelegenheit entstehende Postauslagenpauschale’) im Blick gehabt (BT-Drucks 17/11471, S. 267). Gestützt wird diese Auslegung von Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG durch deren Anm. 1, wonach die Höhe der Dokumentenpauschale (nur) in derselben Angelegenheit einheitlich zu berechnen ist, mithin bei “verschiedenen Angelegenheiten’ – so nun ausdrücklich § 17 Nr. 10 RVG – nicht einheitlich, sondern getrennt zu berechnen ist.
Diese Auslegung von Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG unter Berücksichtigung von § 17 Nr. 10 RVG hat zur Folge, dass die Dokumentenpauschale sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht werden kann. Dies führt dazu, dass die Reduzierung der Vergütung ab der 50. Kopie für das Ermittlungsverfahren und das erstinstanzliche Verfahren jeweils erst ab der 50. Kopie anfällt und der Verteidiger im Ermittlungsverfahren und im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren jeweils für die ersten 50 Seiten die volle Dokumentenpauschale berechnen darf (ebenso Rohn, in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., Rn 84; BeckOK RVG, 27. Ed., v. Seltmann, § 17 RVG Rn 21 i.V.m. Sommerfeld, Nr. 7000 VV RVG Rn 15; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 17 RVG Rn 127; Pankatz, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. § 17 RVG Rn 47; Burhoff, StraFo 2013, 411; ders., RVGreport 2014, 290; Schneider, NJW 2013, 3768, a.A. noch zur alten Rechtslage LG Zweibrücken BeckRS 2012, 17846.).
c) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwand, es habe keine einheitliche Berechnung zu erfolgen, da das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche erstinstanzliche Verfahren ein “gerichtliches Verfahren’ i.S.d. Anm. 1 zu Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG darstellten. Zum einen steht diesem Einwand § 17 Nr. 10 RVG entgegen, der das Ermittlungsverfahren und sich das daran anschließende erstinstanzliche Verfahr...