OWiG § 73 § 74
Leitsatz
Die Ablehnung der Entbindung des Betr. vom persönlichen Erscheinen, um den Zeugen im Falle der Erinnerungslosigkeit an den Sachvorgang die Besichtigung des schweigenden Betr. zu ermöglichen, um so der Erinnerungslosigkeit abhelfen zu können, ist rechtswidrig. Ein Verwerfungsurteil gegen den abwesenden Betr. verletzt in diesem Fall dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
OLG Naumburg, Beschl. v. 17.3.2015 – 2 Ws 55/15
Sachverhalt
Gegen den Betr. wurden wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in der geschlossenen Ortschaft um 32 km/h eine Geldbuße von 160 EUR und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Hiergegen hatte der Betr. rechtzeitig Einspruch eingelegt, das Gericht hatte Termin auf den 6.11.2014 anberaumt. Mit Schriftsatz v. 31.7.2014 beantragte der Verteidigter, den Betr. von der Verpflichtung, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, zu entbinden. Es wurde mitgeteilt, der Betr. sei selbstständiger Geschäftsführer, er räume die Fahrereigenschaft ein. Weitere Angaben würden nicht erfolgen.
Mit Beschl. v. 4.8.2014 hat das Gericht diesen Antrag abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, der Betr. solle zwei Polizeibeamten gegenübergestellt werden, weil diese sich an das von ihnen beobachtete Fehlverhalten des Betr. dadurch besser oder überhaupt erst erinnern würden. Außerdem sei die Frage aufzuklären, ob der Betr. vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt habe, schließlich wolle sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Betr. verschaffen, da dies zur Beurteilung der Auswirkungen eines Regelfahrverbots auf seine beruflichen, familiären und auch sonstigen persönlichen Verhältnisse erforderlich sei. Mit Schriftsatz v. 13.10.2014 überreichte der Verteidiger eine Kopie des Personalausweises des Betr. und wiederholte, der Betr. sei der Fahrzeugführer gewesen, weitere Angaben würden auch in einer Hauptverhandlung nicht erfolgen.
Zum Hauptverhandlungstermin erschien die Verteidigerin des Betr., der Betr. indes nicht. Das AG hat seinen Einspruch daraufhin mit dem angefochtenen Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das OLG Naumburg hat dem Betr. nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde auf die Rechtsbeschwerde des Betr. hin das Urteil des AG Dessau-Roßlau aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das AG Bitterfeld-Wolfen zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"II. Das Rechtsmittel ist zulässig."
Zwar ist die Rechtsbeschwerdebegründung wohl nicht rechtzeitig beim AG Bitterfeld-Wolfen eingegangen, indes hat der Verteidiger rechtzeitig einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, darin hat er glaubhaft gemacht, dass den Betr. – und auch den Verteidiger, worauf es indes nicht ankommt – kein Verschulden daran trifft, dass die am 17.12.2014 an das AG per Telefax abgesandte Rechtsbeschwerdebegründung dort nicht eingegangen ist.
Das Rechtsmittel hat auch Erfolg. In gehöriger Form rügt die Verteidigung, dass das AG es zu Unrecht abgelehnt hat, den Betr. von der Verpflichtung, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, zu entbinden (Verstoß gegen § 73 Abs. 2 OWiG). Wird der Entbindungsantrag aber zu Unrecht abgelehnt, kann der Einspruch nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden, was mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden kann (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., Rn 48 b zu § 74),
Das AG hätte dem Entbindungsantrag stattgeben müssen. Der Betr. hat sich zur Sache geäußert, indem er seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat, außerdem hat er erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde. Seine Anwesenheit war auch nicht zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich.
Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Polizeibeamten, welche die erforderlichen Erkenntnisse grds. niederzulegen haben und dies auch tun, sich in der Hauptverhandlung an den Vorfall auch bei Vorhalt der von ihnen gefertigten Unterlagen nicht erinnern könnten, gab es ebenso wenig wie für die Erwartung, dass im Falle einer solchen Erinnerungslosigkeit die Besichtigung des schweigenden Betr. durch die Zeugen der Erinnerungslosigkeit abhelfen könnte.
Der Betr. hatte angekündigt, in der Hauptverhandlung zu schweigen. Anhaltspunkte dafür, dass er diesen Entschluss in der Hauptverhandlung durch gutes oder schlechtes Zureden aufgeben werde, gab es nicht. Die Inaugenscheinnahme eines schweigenden Betr. durch das Gericht vermag unter keinen Umständen einen für die Rechtsfolgenentscheidung relevanten persönlichen Eindruck zu verschaffen, auch lässt die Art des Schweigens keine Rückschlüsse darauf zu, ob er vorsätzlich oder fahrlässig zu schnell gefahren ist.
Durch die Verwerfung des Einspruchs hat das Gericht auch den Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihm so die Gelegenheit genommen wurde, die bereits schriftsätzlich vorgetragenen Einwände, die seine Verteidigerin in der Hauptverhandlung bei Verhandlung zur Sache wiederholt hätte, einer gerichtlichen Prüfung unterziehen zu lassen.
Da das AG Dess...