1. Äußert sich ein Richter auf einer Fachtagung zu einer Frage, mit der er im Rahmen seiner Richtertätigkeit sogar als Berichterstatter befasst ist, kann eine Partei den Eindruck gewinnen, der Richter habe sich bereits eine Meinung gebildet, sei nicht mehr ergebnisoffen, verkürzt formuliert, werde der Fall, an dem der Zuhörer beteiligt ist, "auf der öffentlichen Fachtagung" entschieden (vgl. Vollkommer, MDR 2016, 634, 635). Dass die Stellungnahme des Richters zu bereits entschiedenen Rechtsfragen nach dem Standpunkt der vernünftigen Partei i.S.d. § 42 Abs. 2 ZPO keine Grundlage für eine Besorgnis der Befangenheit ist, ist allerdings eine gesicherte Feststellung (vgl. Roth, NJW 2016, 1023).
2. Heikel können nur die Fälle sein, in denen der Richter zu schwebenden Verfahren, an denen er beteiligt ist, Stellung nimmt. Dabei wird es auf eine Gesamtschau der Umstände ankommen, für die Vollkommer einen Katalog entwickelt hat (MDR 2016, 635). Neben Form und Inhalt der Äußerung, dem Adressatenkreis der Zuhörer, der Art der Präsentation kann es auf Einzelheiten der Glaubhaftmachung ankommen, die pro und contra für die Ablehnung ins Feld geführt werden können. Liegt etwa eine Fachtagung mit einem "einseitig besetzten Praktikerseminar" (Vollkommer, a.a.O.) oder ein Vortrag in einer Universität vor, sind die Maßstäbe für die Besorgnis der Befangenheit unterschiedlich.
Bei einem Praktikerseminar besteht eine erhöhte Gefahr, dass der Eindruck einer Befangenheit – ohne dass dies objektiv gerechtfertigt ist – gewonnen werden kann. Ob bereits aus einer Ablehnung entgegenstehender Ansichten der Eindruck einer Besorgnis der Befangenheit abgeleitet werden kann, erscheint zweifelhaft. Immerhin kann auch einer vernünftigen Partei nicht verborgen sein, dass ein Richter zu bestimmten Rechtsfragen abweichende Vorstellungen haben kann. Erst wenn die Stellungnahme zu schwebenden Verfahren so dezidiert, zugespitzt und nicht mehr ergebnisoffen erscheint, dass erwartbar ist, der Richter werde sich in dem schwebenden Verfahren nicht mehr mit Argumenten der Gegenansicht befassen, ist der Eindruck der Besorgnis der Befangenheit gegeben, wobei vor allem die Frage der Glaubhaftmachung von Nuancen der Darstellung des Richters Schwierigkeiten bereiten kann (vgl. die Nachweise bei Vollkommer, a.a.O.).
3. Die Entscheidung geht mit Recht davon aus, dass eine Kommentierung eines schwebenden Verfahrens deshalb nicht vorlag, weil eine Erörterung von Fragen eines bereits abgewickelten Verfahrensabschnitts vorlag. Mit dem Vorlagebeschluss war eine Zäsur eingetreten, die eine vollständige Erörterung der damit verbundenen Fragen durch den richterlichen Referenten erforderte und keine Bedenken gegen die Unbefangenheit des Richters begründen konnte (Rn 12) Diese Differenzierung der möglichen Befangenheitsgründe nach dem Verfahrensstand erscheint sachgerecht.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 9/2016, S. 507 - 510