BGB § 253 § 280 § 823 § 831; StVG § 7 Abs. 1 § 8a § 11 § 18
Leitsatz
Stürzt ein behinderter Fahrgast eines Linienbusses, der auf einem für Behinderte vorgesehenen Sitz Platz genommen und sich an dem zugehörigen Haltegriff festgehalten hat, bei einem Bremsmanöver, ist der gegen ihn sprechende Anscheinsbeweis eines Mitverschuldens des Fahrgastes, nicht für einen ausreichenden Halt gesorgt zu haben, erschüttert, wenn bei dem Bremsmanöver auch alle anderen Fahrgäste von den Sitzen geflogen oder gerutscht sind.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Frankfurt, Urt. v. 17.11.2015 – 12 U 16/14
Sachverhalt
Der Kl. fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund von Verletzungen, die er bei einem Sturz in einem Linienbus erlitten hat. Die Bekl. zu 1) steuerte einen Linienbus der Bekl. zu 2) nach links in eine bergaufführende Straße, auf der die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt ist. Etwa 50 m nach der Einmündung war die von dem Linienbus befahrene Fahrspur von einem haltenden Pkw blockiert.
Die dadurch entstandene Engstelle befand sich vor einer unübersichtlichen Linkskurve.
Die Bekl. zu 1) zog den bergauffahrenden Bus nach links auf die Gegenfahrbahn und umfuhr den haltenden Pkw. Auf der Gegenfahrbahn kam ihr ein bergabwärts fahrender Pkw, den der Zeuge Z steuerte, entgegen. Die Bekl. zu 1) leitete eine Vollbremsung ein, durch die sie eine Kollision mit dem entgegenkommenden Pkw vermied. Der Kl., der 7 Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte, der zu fortdauernden Gang- und Sprachstörungen geführt hatte, stürzte aus dem von ihm für Behinderte vorgesehenen Sitz, obwohl er sich zusätzlich an dem zugehörigen Haltegriff festgehalten hatte und erlitt eine Oberschenkelhalsfraktur. Diese wie eine weiterhin erlittene Hüftverletzung, die eine Totalendoprothese erforderlich machte, wurde stationär im Krankenhaus behandelt und der Kl. unterzog sich 36 physiotherapeutischen Behandlungen. Für insgesamt drei Monate benötigte er einen Rollator und kann seit dem Unfall trotz der durchgeführten Behandlungen Treppen nur im Nachstellschritt begehen. Das LG wies die Klage ab.
Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Die von dem Senat durchgeführte Beweisaufnahme ergab, dass bei dem Bremsmanöver weitere Fahrgäste aus den Sitzen geschleudert wurden bzw. verletzt wurden.
2 Aus den Gründen:
" … Die zulässige, insb. form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg. Das beanspruchte Schmerzensgeld erachtet der Senat nur i.H.v. 10.000 EUR als angemessen. Der Kl. kann im tenorierten Umfang Ersatz seiner Schäden aus §§ 7 Abs. 1, 8a, 11, 18 StVG, § 115 VVG, §§ 823, 831, 253, 280 BGB verlangen."
1) Unstreitig kam es im Zusammenhang mit dem Begegnungsverkehr zwischen dem A-Bus und einem Personenkraftwagen (Pkw2) zu einem Ausweichmanöver und einer Vollbremsung des A-Busses, wodurch der im A-Bus der Bekl. zu 2) sitzende Kl. stürzte und sich eine mediale Schenkelhalsfraktur rechts als Verletzung zuzog.
a) Die Beweisaufnahme hat folgenden Unfallhergang ergeben. Beim Einbiegen des A-Busses an der Kreuzung … straße3/Straße1 war der Pkw1, direkt neben der Parkbucht in der Straße1, bergauf gesehen in Höhe der beiden oberen geparkten Fahrzeuge, abgestellt. Die Fahrbahn ist in diesem Bereich 5,10 m breit. Bei diesem Fahrbahnabschnitt der Straße1 handelt es sich um eine unübersichtliche Engstelle vor einer Linkskurve, die deshalb in Höhe der Haltebucht mit einem Spiegel für die bergauf in Richtung Bahnhof fahrenden Fahrzeuge ausgestattet ist. Dies wird durch die Fotos von der Unfallstelle offenkundig belegt. Um an dem Pkw1 vorbeizufahren lenkte die Bekl. zu 1) den A-Bus (Breite: 1,990 m) nach links in den Fahrbahnbereich hinein, der dem entgegenkommenden Verkehr vorbehalten ist. Nachdem der A-Bus an dem parkenden Pkw1 vorbeigefahren war, kam dem weiter bergauf fahrenden A-Bus kurz vor dem Erreichen der Haltebucht der bergab fahrende Pkw2 (Breite: 1,698 m) der Zeugin Z2 entgegen. Die Fahrbahnbreite beträgt in diesem Bereich zwischen 5,20 und 5,35 m. Ein Passieren der Fahrzeuge war nur möglich, wenn beide Fahrzeuge sich jeweils rechts in ihrer Fahrspur einordneten. Die Zeugin Z2 hielt beim Vorbeifahren an dem A-Bus mit ihrem Pkw2 ihre Fahrspur ein, ohne die dort geltende Geschwindigkeitsbegrenzung zu überschreiten. Eine Kollision mit dem A-Bus fand nicht statt. Die Bekl. zu 1) vollzog im Zusammenhang mit dem Passieren des Pkw2 eine starke Ausweichbewegung nach rechts in Richtung Haltebucht und führte eine Vollbremsung durch, um nicht mit dem A-Bus die Wand der links neben ihrer Fahrspur befindlichen Haltebucht zu touchieren. Der A-Bus kam schräg zum Stehen und zwar mit der Front in der Haltebucht und dem Heck in der Fahrbahn.
In dem A-Bus sind hinter dem Fahrer nur drei Sitzreihen angeordnet. In der ersten Reihe hinter dem Fahrersitz befinden sich zwei Sitzplätze nebeneinander. Der Fensterplatz ist Schwerbehinderten zugewiesen. Auf diesem Sitzplatz saß der Kl., während die Zeugin Z3 den neben ihm befindlichen Sitzplatz zum Gang eingenommen hatte. Links neben ...