JVEG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Leitsatz
Bei den dem gerichtlich bestellten Sachverständigen berechneten Kosten für die einmalige Nutzung des Online-Auswertetools eines Herstellers für Geschwindigkeitsmessanlagen, das der Sachverständige im Rahmen des Gutachtenauftrages zur Auswertung der Rohdaten herangezogen hat, handelt es sich um besondere Kosten i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG, die der Sachverständige aus der Staatskasse gesondert ersetzt erhält.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Tübingen, Beschl. v. 20.3.2018 – 3 Qs 21/17
Sachverhalt
In einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat das AG Tübingen den Sachverständigen S mit der Erstellung eines Gutachtens bestellt. Der von der IHK für das Sachgebiet "Messung im Straßenverkehr" bestellte Sachverständige sollte im Rahmen seines Gutachtens prüfen, ob die Einrichtung der Messstelle eines Geschwindigkeitsmessgeräts ESO ES 3.0 den Vorgaben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt entsprochen hat. Im Rahmen der Erstellung seines Gutachtens wertete der Sachverständige S die Rohdaten des ESO-Sensormessgeräts aus, die bei dessen Hersteller gespeichert waren. Hierzu verwendete der Sachverständige einmal ein selbstentwickeltes Auswerteprogramm, zum anderen das Auswerteprogramm der Firma ESO, die das verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsmessgerät ESO ES 3.0 hergestellt hatte. Dieses Auswerteprogramm wird von der Firma ESO im Einzelfall auf Anfrage als kostenpflichtiges Onlinetool zur Verfügung gestellt. Die Software zur Auswertung wird hingegen vom Hersteller nicht verkauft. Für den einmaligen Zugriff auf das Auswerteprogramm stellte die Firma ESO dem Sachverständigen S einen Betrag i.H.v. 105 EUR netto (124,95 EUR brutto) in Rechnung. Diesen Betrag machte der Sachverständige S in seiner Abrechnung gegenüber der Staatskasse geltend.
Nachdem die Kostenbeamtin diesen Betrag als nicht vergütungsfähig angesehen hatte, beantragte der Sachverständige S die gerichtliche Festsetzung seiner Vergütung. In seinem Beschluss vom 4.9.2017 hat das AG Tübingen dem Sachverständigen einen weiteren Betrag i.H.v. 124,95 EUR für die Nutzung des Online-Auswertetools zugestanden und die Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen. Der hiergegen von der Bezirksrevisorin als Vertreterin der Landeskasse eingelegten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und sie dem LG Tübingen zur Entscheidung vorgelegt. Das LG hat eine Auskunft der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zu der Frage eingeholt, ob eine Auswertung der Rohdaten des betreffenden Messgeräts in sachgerechter und zuverlässiger Weise nur mit Hilfe des Auswertetools der Firma ESO vorgenommen werden kann und ggf. weshalb das der Fall ist.
2 Aus den Gründen:
"… II. Die gem. § 4 Abs. 3 Var. 2 JVEG zulässige Beschwerde gegen die Festsetzung der Vergütung ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Dem Sachverständigen steht ein Anspruch auf Vergütung in Höhe der geltend gemachten Kosten der Fremdrechnung für die Nutzung des Auswertetools der Firma ESO gem. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG zu, da es sich um notwendige besondere Kosten zur Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens handelt – wie bereits das AG überzeugend begründet hat."
1. Wem die Messdaten (zivilrechtlich) gehören und wer aus einer Nutzung der Daten deshalb Rechte herleiten kann – die Firma ESO als Hersteller der Geschwindigkeitsmessanlage oder die die Messung veranlassende Behörde –, spielt für die Frage der Vergütungsfähigkeit der Aufwendungen des Sachverständigen für die Softwarenutzung entgegen des Beschwerdevorbringens keine Rolle. Es ist zwar freilich zutreffend, dass berechtigt hinsichtlich der Messdaten die Polizeibehörde als die die Daten erhebende Stelle ist und nicht die Firma ESO (so OLG Naumburg DAR 2015, 17 = VersR 2015, 1525). Der Umstand, dass deshalb die Firma ESO mangels Berechtigung an den Daten einem Sachverständigen oder einem Betroffenen einen Zugriff auf diese nicht verwehren kann, der Sachverständige die Daten also nutzen “darf', sagt über die Frage, wie der Sachverständige die Daten für eine pflichtgemäße Gutachtenerstattung nutzen “muss' und welche Kosten ggf. für die Auswertung der Daten zur pflichtgemäßen Gutachtenerstattung notwendig sind, nichts aus. Auch dann, wenn der Sachverständige auf die Rohmessdaten (z.B. zum Zwecke der Auswertung) zugreifen darf, ist hiermit die Erhebung einer Gebühr für die Nutzung eines Online-Tools der Firma ESO zur Auswertung der Daten nicht ausgeschlossen.
2. Gegenständlich ist vielmehr einerseits, welche Anforderungen durch das Gericht im Gutachtenauftrag an den Sachverständigen gestellt werden und welche Tätigkeiten und Schritte seitens des Sachverständigen notwendig sind, um diesem Gutachtenauftrag unter Wahrung seiner Pflichten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen gerecht zu werden. Andererseits, ob durch eine solche Wahrnehmung des Gutachtenauftrags im konkreten Einzelfall und losgelöst von den üblichen Gemeinkosten der Erbringung entsprechender Sachverständigendienstleistungen besondere Kosten entstehen.
3. Der Gutachtenauftrag des ...