Das letzte Problem soll dargestellt werden anhand einer aktuellen OGH-Entscheidung: Die Verletzte war in finanziellen Schwierigkeiten; sie hatte in einem Schuldenregulierungsverfahren fällige Zahlungen zu erfüllen. Spätfolgen waren für den dem Grunde nach voll einstandspflichtigen Ersatzpflichtigen als sehr wahrscheinlich erkennbar, wenn auch nicht als sicher vorhersehbar. Die Verletzte wollte Schmerzensgeld haben, um die Verbindlichkeiten aus dem Zahlungsplan erfüllen zu können. Sie erhielt aber zunächst nur eine geringfügige Akontozahlung.
Die Sachbearbeiterin des Haftpflichtversicherers wies darauf hin, dass eine Zahlung erst nach Vorliegen des Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen möglich sei, das aber erst in einem Jahr eingeholt werden könne, weil sich die Verletzungsfolgen dann erst konsolidiert haben werden. Möglich sei aber ein "voller" Betrag, wenn die Verletzte einen vorformulierten Abfindungsvergleich unterschreibe, bei dem sie auf künftige Ansprüche verzichte, mögen künftige Schmerzen vorhersehbar oder unvorhersehbar sein.
Nach Unterfertigung dieses Vordrucks und Auszahlung des vereinbarten Betrags haben die Schmerzen deutlich zugenommen. Die Geschädigte hat einen Nachschlag gefordert, weil ohne Vergleich das Doppelte angemessen gewesen wäre. Der Haftpflichtversicherer verwies hingegen auf die Unterfertigung des Vergleichs. Auf das Vorbringen der Verletzten, dass der Vergleich sittenwidrig sei und ihr die Differenz zum angemessenen Schmerzensgeld zustehe, wies der OGH das Begehren (derzeit) ab. Ein Missverhältnis von "bloß" 1:2 sei kein ganz krasses und somit nicht sittenwidrig. Sollte sich die Verletzung jedoch verschlimmern, komme eine gegenteilige Beurteilung in Betracht.
Jedenfalls wenn mit dem vereinbarten Betrag bloß die bisher erlittenen Schmerzen abgegolten worden sind, ist das Judiz fragwürdig. Das Schmerzengeld dafür war dann bereits fällig. Der OGH legte für die Zulässigkeit der Vereinbarung folgenden Maßstab an: Steht der tatsächlich gezahlte im Verhältnis zum angemessenen Schmerzensgeldbetrag in einem krassen Missverhältnis?
Es ist aber auch folgende Fragestellung legitim bzw angebracht: Ist es angemessen, die Zahlung einer fälligen Ersatzleistung abhängig zu machen vom Verzicht auf einen möglichen künftigen Anspruch? Das ist meines Erachtens zu verneinen. Nach deutschem Recht wäre das mit § 242 BGB – Verstoß gegen Treu und Glauben – zu begründen. Zudem kommt bei dem vom Haftpflichtversicherer vorformulierten Vergleich eine Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen in Betracht, ob gegenüber dem Zuspruch durch Urteil, bei dem dem Verletzten ein Recht auf Nachklage bei nicht vorhersehbaren Schäden zusteht, nicht eine gröbliche Benachteiligung – im deutschen Recht nach § 307 BGB – gegeben ist.
Anzuerkennen ist freilich das legitime Interesse des Haftpflichtversicherers, die Akte zu schließen. Aus Transparenzgründen sollte dann aber eine Offenlegung erfolgen, wieviel Ersatz für erlittene und vorhersehbare Schmerzen geleistet wird und wie hoch der Risikozuschlag ist, dass für mögliche künftige Schmerzen auf jeglichen Ersatz unwiderruflich verzichtet wird.