1. Leidensdauer als zentrale Bemessungsdeterminante
Das Schmerzensgeld soll dazu dienen, dass sich der Verletzte für die von ihm erlittenen Schmerzen Annehmlichkeiten und Erleichterungen verschaffen können soll. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes gibt es viele in Betracht kommende Komponenten. Die Schmerzensgeldtabellen weisen in aller Regel lediglich eine bestimmte Verletzung aus; das ist der Anhaltspunkt für die Ermittlung des für den konkreten Fall gebührenden Schmerzensgeldes. Das ist indes fragwürdig.
Konsens sollte darüber zu erzielen sein, dass derjenige, der länger leidet, ein höheres Schmerzensgeld beanspruchen kann. Es stellt sich indes die Frage, ob die Höhe des Schmerzensgeldes neben der Schmerzintensität proportional von der Leidensdauer abhängig sein soll. Meines Erachtens ist einzuräumen, dass bei einer Verletzung, die zu einem Dauerschaden führt, die Gewöhnung von "ganz gesund" zu "beträchtlich beeinträchtigt" in vielen Fällen besonders schmerzlich empfunden wird und deshalb einen besonderen Sockelbetrag im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung erfordert. Die Phase danach ist freilich dadurch gekennzeichnet, dass die Höhe des Schmerzensgeldes für die Abgeltung der Unbill in dieser Phase grundsätzlich linear zu erfolgen hat. Angemessen wäre eine Rente, damit sich die verletzte Person jeweils entsprechende Annehmlichkeiten und Erleichterungen verschaffen kann. Damit es zu keiner inflationsbedingten Entwertung kommt, wäre eine Indexbindung sachgerecht.
Ob Schmerzensgeld in Form einer Schmerzensgeldrente oder eines Kapitalbetrags geleistet wird, ist indes von sekundärer Bedeutung. Wie bei Zuerkennung einer Schmerzensgeldrente neben einem Kapitalbetrag betont wird, dass dabei wirtschaftlich kein anderes Ergebnis herauskommen dürfe als bei Zuspruch eines Kapitalbetrags allein, muss das auch in umgekehrter Richtung gelten. Der alleinige Kapitalbetrag ist so zu bemessen, als ob für die Phase nach der Eingewöhnung in den neuen Verletzungszustand für die Zukunft eine Rente zugebilligt würde. Während die Rente ihre richtige Befristung stets in sich trägt, weil sie nur so lange zu zahlen ist, bis die verletzte Person wieder gesund ist – was bei Dauerfolgen meist unrealistisch ist – oder stirbt, ist dafür bei der Kapitalzahlung eine Prognose anzustellen. Zudem ist ein Barwert zu ermitteln; die indexgebundene Rente der künftigen Schmerzen ist abzuzinsen, wobei das derzeit geringe Zinsniveau zu berücksichtigen ist.
Eine solche Kontrollrechnung würde dazu führen, dass die Rationalität für den Umfang des Schmerzensgeldes zunehmen würde. Die Schmerzensgeldtabellen müssten dann freilich nicht nur die Schwere einer Verletzung als solche ausweisen, sondern auch das Alter und die voraussichtliche Leidensdauer des Verletzten. Auch müsste offen gelegt werden, ob es sich um eine Global- oder Teilbemessung handelt. Schließlich sollte – wie in Österreich gängige Praxis – eine Aufwertung des in einer früheren Entscheidung zuerkannten Betrags nach dem Datum der erstinstanzlichen Entscheidung als Annäherung an die letzte mündliche Verhandlung erster Instanz erfolgen. Die Folge wäre eine – durchaus sachgerechte – Umverteilung des Schmerzensgeldkuchens von den Alten zu den Jungen, von denen mit kurzer Leidensdauer zu denen mit einer langen.
Abschließend sei erwähnt, dass innerhalb weniger Wochen – soweit ersichtlich unabhängig voneinander – der OGH und der BGH eine eigenständige Fallgruppe gebildet haben, nämlich den Zuspruch von Schmerzensgeld in beträchtlicher Höhe an Personen, die keine Schmerzempfindung mehr haben. In Deutschland ist dafür der Begriff der "Zerstörung der Persönlichkeit" geläufig. Es handelt sich da wie dort um eine mittlerweile gefestigte Rechtsprechung, die kaum zu kippen sein wird.
Bei der Bemessung sei freilich der Hinweis erlaubt, dass das Schmerzensgeld seine genuine Funktion, den Verletzten in die Lage zu versetzen, sich Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen, nicht mehr erfüllen kann. In manchen Fällen hatte es die Funktion eines "verkappten Angehörigenschmerzensgeldes"; deren Kummer wird nun treffsicherer über § 844 Abs. 3 BGB abgegolten. Zudem findet bei solchen Opfern, etwa Wachkomapatienten, keine Umgewöhnung in eine neue Lebenslage statt. Schließlich haben sie im Regelfall auch eine deutlich herabgesetzte Lebenserwartung. Um es auf den Punkt zu bringen: Mehrere Aspekte sprechen dafür, den Ersatzbetrag mäßig ausfallen zu lassen. Die höchsten Schmerzensgeldbeträge sollten meines Erachtens denen vorbehalten werden, die mitten aus dem Leben gerissen werden, begreifen, was ihnen angetan wurde, sich mit dem Ersatzbetrag Erleichterungen für ihr eigenes Leben verschaffen können und die eine lange Leidensdauer vor sich haben.