1) Die sich aus der materiellen Prozessleitung des Zivilgerichts nach § 139 ZPO ergebenden "Instruktionstätigkeiten" (Reischl ZZP 2003, 81) und die angemessene Reaktion der beteiligten Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten haben eine Fülle von Rechtsproblemen geschaffen, die die Arbeitsweise der Gerichte beeinflussen (vgl. Gehrlein MDR 2004, 242).
Die der Instruktionspflicht des Gerichts zugrunde liegende Hinweispflicht des Gerichts führt aus der Sicht der Parteien, die ohne den Hinweis und die etwaige folgerichtige Reaktion des beglückten Gegners möglicherweise den Rechtsstreit gewonnen hätte, zu einer Änderung der Chancen im Rechtsstreit. Der hinweisende Richter erscheint nicht mehr als völlig neutraler Beobachter, sondern als materiell Beteiligter; ist sein Hinweis angezeigt gewesen, kann ihn die hierdurch beschwerte Partei nicht ablehnen (vgl. OLG Oldenburg NJW 2004, 3194). Mit der Erteilung des gebotenen Hinweises hat der Richter nicht die ihm zugewiesene Rolle des bloßen Beobachters verlassen und einseitig Partei ergriffen. Vielmehr entspricht die Verpflichtung des Gerichts zur Erteilung von Hinweisen dem Zweck des Verfahrens, an dem Zustandekommen einer sachgerechten Entscheidung unter dem Aspekt materialer wertorientierter Gerechtigkeit mitzuwirken (vgl. BVerfG NJW 1976, 1391 [1392]). Nur so wird dem Verfahrensrecht genügt, das der Herbeiführung gesetzmäßiger und gerechter Entscheidungen dient (vgl. BVerfGE 52, 131 [153]).
2) Ob die Zahl der Hinweise gestiegen ist, ist umstritten (vgl. die Nachweise bei Oberheim, Erfolgreiche Taktik im Zivilprozess, 5. Aufl., Rn 1412).
Die Regelung des § 139 Abs. 4 S. 1 1. Hs. ZPO, der die Erteilung eines Hinweises "so früh wie möglich" anordnet, will ersichtlich bereits ausreichende Zeit vor dem Verhandlungstermin eine Hinweiserteilung herbeiführen. Der Belastungsdruck der Gerichte führt häufig dazu, dass sich Gerichte erst unmittelbar vor dem Verhandlungstermin mit der Sache befassen (vgl. van Bühren AnwBl. 2003, 619; Deubner JuS 2004, 205; vgl. auch E. Schneider MDR 1996, 866).
3) Probleme werfen die häufig vorkommenden Situationen auf, in denen der Hinweis erst im Verhandlungstermin erteilt wird. Überzogen erscheint es, schon wegen der Belastungssituation von Richtern darin einen richterlichen Kunstfehler zu sehen (Greger JZ 2004, 809). Nicht belegbar ist der globale Vorwurf, die späte Erteilung des Hinweises erst im Verhandlungstermin beruhe auf dem feindseligen Kalkül des Richters, ahnungslose Anwälte in perfider Art und Weise "in der mündlichen Verhandlung in das unter der Robe verborgene Messer des unsubstantiierten Vortrags laufen [zu] lassen" (Bohlander MDR 1996, 1095).
Wurde der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt, ist die Gewährung rechtlichen Gehörs zu beachten. Damit ist der betroffenen Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (BGH BauR 2009, 681; BGH BauR 2011, 200). Nur dann, wenn der Prozessbevollmächtigte erkennbar in der Lage war, sofort und umfassend Stellung zu nehmen, durfte das hinweisende Gericht von der Gewährung rechtlichen Gehörs ausgehen (vgl. BGH BauR 2011, 1200, 1201). Konnte es wegen der Komplexheit des Hinweises diesen Eindruck nicht gewinnen, konnte das Gericht hieraus den Schluss ziehen, dass der Hinweis falsch aufgenommen worden ist und ihn ggf. präzisieren (vgl. BGH NJW 1999, 1264). Liegt eine anwaltliche "Unterreaktion" auf den Hinweis vor (BGH NJW 2007, 1887), verspricht auch die Präzisierung keine Gewährung rechtlichen Gehörs. Eine Ergänzung des Sachvortrags ist nicht zu erwarten (vgl. BGH NJW-RR 2007, 412; BGH NJW-RR 1997, 441). Wählt der Prozessbevollmächtigte auch nicht die ihm offen stehende Möglichkeit des Antrages auf Schriftsatznachlass (§ 139 Abs. 5 ZPO), erfordert die Gewährung rechtlichen Gehörs auch ohne Antrag die Vertagung. Das Antragserfordernis in § 139 Abs. 5 ZPO steht dem wegen des vorrangigen Erfordernis rechtlichen Gehörs nicht entgegen.
4) Ein Rechtsmittelführer, der die Verletzung einer gerichtlichen Hinweispflicht gem. § 139 ZPO geltend macht, muss darlegen, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert, insb. was er hierauf im Einzelnen vorgetragen hätte und wie er weiter vorgegangen wäre. Er ist dabei grundsätzlich nicht gehindert, sein bisheriges Vorbringen zu ändern und insb. zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Eine durch Änderungen etwa entstehende Widersprüchlichkeit in seinem Vortrag ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 15.2.2018 – I ZR 243/16).
RiOLG a.D Heinz Diehl
zfs 9/2018, S. 504 - 506