GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 139
Leitsatz
Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der mündlichen Vorhandlung nach einem Hinweis des Gerichts nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht – wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht – auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Erlässt das Gericht in diesem Fall ein Urteil, ohne die Sache vertagt zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
BGH, Beschl. v. 11.4.2018 – VII ZR 177/17
Sachverhalt
Die Kl. hat die Verurteilung des beklagten Rechtsanwalts zur Zahlung restlichen Werklohns geltend gemacht. Der Bekl. machte ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln geltend und kündigte hilfsweise die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch an. Im Termin vor dem LG wies dieses darauf hin, dass der Vortrag des Bekl. zu den Mängeln und Gegenrechten unzureichend sei. Der Bekl. nahm im Termin hierzu keine Stellung und beantragte auch keinen Schriftsatznachlass. Das LG verkündete am Schluss der Sitzung ein den Bekl. verurteilendes Urteil. Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung reichte der Bekl. einen Schriftsatz ein, in dem er zu den Hinweisen des LG Stellung nahm. Das OLG wies die Berufung des Bekl. nach § 522 Abs. 2 ZPO mit der Begründung zurück, der nicht nachgelassene nachgereichte Vortrag des Bekl. sei auch in der Berufung nicht zu berücksichtigen, da der Bekl. im Termin vor dem LG hätte Stellung nehmen können. Der Beschl. des OLG wurde auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Bekl. aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
"… II. [4] Die Beschwerde des Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO in dem im Tenor bezeichneten Umfang zur Aufhebung der angegriffen Entscheidung und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das BG. Im Übrigen ist sie unbegründet."
[5] 1. Das BG ist der Auffassung, das Vorbringen des Bekl. zur Mangelhaftigkeit der Leistungen der Kl. in dem nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingegangenen Schriftsatz vom 14.8.2015 sei gem. § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz nicht berücksichtigungsfähig. Es sei nicht zu beanstanden, dass das LG bereits am Schluss der Sitzung vom 15.7.2015 ein Urteil verkündet habe.
Das LG habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vortrag zu den Mängeln und Gegenrechten nicht hinreichend substantiiert sei. Einen Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist auf den Hinweis habe der Bekl. nicht gestellt. Das LG sei nicht von Amts wegen gehalten gewesen, den Termin zu vertagen, ins schriftliche Verfahren überzugehen oder den Bekl. ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er eine Schriftsatzfrist beantragen könne. Eine Verpflichtung des Gerichts, die Verhandlung nicht ohne Weiteres zu schließen, sondern ggf. zu vertagen, bestehe nur, wenn eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden könne. Eine solche Situation sei vorliegend nicht gegeben. Dass an den Gewerken Mängel bestünden, was ein Zurückbehaltungsrecht rechtfertigen könnte, habe der Bekl. – wenn auch unsubstantiiert – bereits in der Klageerwiderung vorgebracht. Es sei nicht ersichtlich, warum er in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen sein sollte, auf der Grundlage seiner Akte die Mängel zu substantiieren, zumal er im Termin – sich selbst vertretend – anwesend gewesen sei. Soweit der Bekl. im Schriftsatz vom 14.8.2015 die Aufrechnung mit verschiedenen Schadenspositionen erklärt habe, sei der Aufrechnungseinwand gem. § 533 ZPO unzulässig. Denn der Bekl. stütze die Aufrechnung auf die erstmals zweitinstanzlich substantiiert vorgetragenen Mängel der von der Kl. erbrachten Leistungen und damit nicht auf Tatsachen, die das BG seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen habe.
[6] 2. Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das BG das im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.8.2015 enthaltene Vorbringen des Bekl. zu Mängeln der Werkleistung der Kl. und das darauf gestützte Zurückbehaltungsrecht sowie die hilfsweise erklärte Aufrechnung unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gem. § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen hat. Die Verfahrensweise des BG verletzt das Recht des Bekl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
[7] a) Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das BG dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht das Ausbleiben des Vorbringens oder von Beweisanträgen in der ersten Instanz mitverursacht hat. Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen oder eine Partei als beweisfällig angesehen worden, ohne dass ihr durch einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags oder neuer Be...