Leitsatz
- § 55 enthält keine Regelung über Zulässigkeit und Grenzen der Neuwertversicherung
- Ein ungeschriebenes allgemeines Bereicherungsverbot im Sinne eines zwingenden, die Neuwertversicherung einschränkenden Rechtssatzes gibt es nicht.
Normenkette
§ 55 VVG, § 3 AFB, § 2 SGIN 79 a
Sachverhalt
Die Bekl. hatte die Leistungspflicht für den durch Brand zerstörten Gasthof der Kl. u. a. mit der Begründung verneint, das Gebäude sei wertlos gewesen, so dass wegen des versicherungsrechtlichen Bereicherungsverbots keine Entschädigung geschuldet werde.
Das LG hat der Feststellungsklage auf Gewährung von Deckungsschutz stattgegeben; das Berufungsgericht (BG) hat sie abgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Entscheidung
Wie der BGH ausführt, hat das BG im Ergebnis die Klageabweisung darauf gestützt, dass eine Entschädigungspflicht der Bekl. an dem Bereicherungsverbot des § 3 Nr. 1 S. 1 AFB und an § 55 VVG scheitere. Der Gasthof sei bei Eintritt des Schadenfalles bereits dauernd entwertet gewesen und habe praktisch keinen Vermögenswert mehr dargestellt. Die Neuwertversicherung würde deshalb zu einer unzulässigen Bereicherung der Kl. führen, da § 3 Nr. 1 S. 1 AFB weder durch die Sonderbedingungen für die Neuwertversicherung von Industrie und Gewerbe (NWIG 80) noch durch die SGlN 79 a abbedungen worden sei.
Eine Neuwertversicherung werde allerdings gewohnheitsrechtlich grundsätzlich als zulässig angesehen. Dies gelte jedoch nur dann, wenn der Zeitwert nicht unter 50 Prozent, höchstens 40 Prozent des Neuwertes abgesunken sei. Hier könne nur von einem Zeitwert von unter 10 Prozent ausgegangen werden.
Mit dem Gesichtspunkt des Bereicherungsverbots lasse sich - so der BGH - die Klageabweisung nicht rechtfertigen.
Der Vertrag enthalte keine Bestimmungen, die den Anspruch auf Neuwertentschädigung einschränken. § 3 AFB, der die Entschädigung auf den Wert bei Eintritt des Versicherungsfalls beschränke, sei hier durch die Vereinbarung einer Versicherung zum gleitenden Neuwert nach den SGlN 79 a abbedungen. Aus § 3 AFB ergebe sich, dass er insgesamt nur die Zeitwertversicherung betreffe und seine Anwendung zu dem der Kl. gegebenen Versprechen einer Neuwertversicherung im Widerspruch stünde. Nach allgemeiner Auffassung gelte § 3 AFB für die Neuwertversicherung von vornherein nicht. Maßgebend seien vielmehr die Vereinbarungen zur Neuwertversicherung, hier die SGlN 79 a. Aus den SGlN 79 a sei nach dem Verständnis des durchschnittlichen VN zu schließen, dass sie in ihrem Anwendungsbereich ausschließlich Geltung beanspruchen und insoweit andere AVB verdrängen. Nach § 2 Nr. 2 SGlN 79 a werde die errechnete Neuwertentschädigung voll geleistet, sofern nicht eine Unterversicherung vorliegt. Weitere Einschränkungen seien in den SGlN 79 a nicht genannt.
Auch § 55 VVG stehe der hier vereinbarten Neuwertversicherung nicht entgegen. Nach § 55 VVG sei der Versicherer, auch wenn die Versicherungssumme höher ist als der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls, nicht verpflichtet, dem VN mehr als den Betrag des Schadens zu ersetzen. Mit dieser Bestimmung werde weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Regelung über Zulässigkeit und Grenzen der Neuwertversicherung getroffen. § 55 behandele nicht allgemein die Entschädigungspflicht des Versicherers, sondern nur den Fall der Überversicherung im Vertrag mit einem Versicherer. Die Formulierung "auch wenn die Versicherungssumme höher ist als der Versicherungswert" schließe zwar nach dem Wortlaut nicht aus, dass damit auch die Fälle erfasst sein sollen, in denen keine Überversicherung vorliegt. Ein solches Verständnis stünde aber mit der Systematik des Gesetzes nicht in Einklang. Denn § 56 VVG regele die Haftung des Versicherers für den Schaden im Fall der Unterversicherung, und § 59 Abs. 1 VVG bestimme für den Fall der Doppelversicherung, einer besonderen Form der Überversicherung, dass der VN im ganzen nicht mehr als den Betrag des Schadens verlangen kann. Daraus sei zu entnehmen, dass § 55 VVG nur etwas für den Fall der (einfachen) Überversicherung aussagen will.
Inhaltlich betreffe die in § 55 VVG enthaltene Abgrenzung der Ersatzpflicht (insofern möge man von einem Bereicherungsverbot sprechen) daher nicht das Verhältnis zwischen Versicherungswert und Schaden, sondern das Verhältnis zwischen Versicherungswert und Versicherungssumme. Für dieses Verhältnis bestimme § 55 VVG, dass der Versicherer nicht verpflichtet ist, die Differenz zwischen dem Versicherungswert und der höheren Versicherungssumme zu zahlen. Dagegen lasse sich dieser Vorschrift nicht entnehmen, dass der Versicherer berechtigt sein soll, bei einem Totalschaden weniger als den Versicherungswert zu leisten und dementsprechend bei einem Teilschaden eine verhältnismäßige Kürzung vorzunehmen, wenn der Zeitwert der Sache niedriger als der Versicherungswert ist.
Ein ungeschriebenes allgemeines Bereicherungsverbot im Sinne eines zwingenden, die Neuwertversicherung einschränkenden Rechtssatzes gebe e...