Leitsatz
Die Kindeseltern stritten über Aufenthaltsbestimmungsrecht und Sorgerecht für ihr nichtehelich geborenes Kind. Eine Sorgeerklärung gemäß § 1626a Abs. 1 BGB wurde nicht abgegeben. Bei Trennung der Kindeseltern im Sommer 2006 verblieb das Kind im Haus des Kindesvaters mit Einverständnis der Kindesmutter. Ende 2007 beantragte der Vater den Entzug der elterlichen Sorge zulasten der Kindesmutter und die Übertragung der elterlichen Sorge zu seinen Gunsten. Nach Anhörung des Kindesvaters erklärte sich das angerufene Gericht AG Zehdenick für örtlich unzuständig und gab das Verfahren an das AG Neuruppin ab, in dessen Bezirk die Kindesmutter wohnhaft war. Das AG Neuruppin erklärte sich für unzuständig mit der Begründung, hinsichtlich des Wohnortes beim Kindesvater sei für das betroffene Kind ein gewillkürter Wohnsitz gegeben. Das AG Neuruppin legte das Verfahren dem OLG Brandenburg zur Zuständigkeitsbestimmung vor. Das OLG bestimmte das zunächst angerufene AG Zehdenick als zuständig.
Sachverhalt
Siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG wies zunächst darauf hin, dass intern der Familiensenat des OLG für den bestehenden Kompetenzkonflikt zweier FamG zuständig sei. Zu den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG zählten auch Nebenentscheidungen des AG, die die Hauptsacheentscheidung vorbereiteten. Eine solche Nebenentscheidung stelle der Streit zweier FamG um die örtliche Zuständigkeit i.V.m. den nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erforderlichen rechtskräftigen Erklärungen über die eigene Zuständigkeit dar (vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 725; Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 8).
Die örtliche Zuständigkeit in isolierten Sorgerechtsverfahren richte sich nach §§ 64 Abs. 3 S. 2, 43 Abs. 1, 36 Abs. 1 S. 1 FGG. Nach § 36 Abs. 1 S. 1 FGG i.V.m. § 11 S. 1 BGB teile das minderjährige Kind den Wohnsitz der Eltern, soweit diese sorgeberechtigt seien (gesetzlicher Wohnsitz). Im konkreten Fall stehe hinsichtlich des nichtehelich geborenen Kindes das alleinige Sorgerecht der Kindesmutter gemäß § 1626a Abs. 2 BGB zu.
Allerdings sei die Regelung des § 11 S. 1 BGB nicht zwingend. Neben bzw. anstelle des gesetzlichen Wohnsitzes könne ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden. Dieser besitze Vorrang vor dem gesetzlichen Wohnsitz des § 11 S. 1 BGB. Er könne auch stillschweigend begründet werden, soweit eine ständige Niederlassung des Kindes an dem neuen Wohnsitz durch den sorgeberechtigten Elternteil bzw. durch beide sorgeberechtigten Elternteile gewollt sei. Für eine solche gewillkürte Begründung eines Wohnsitzes sei der Wille des Sorgeberechtigten erforderlich, dass sich das Kind auf Dauer an dem von dem Wohnsitz des sorgeberechtigten Elternteils abweichenden Ort aufhalte. Ein lediglich zeitlich begrenzter Aufenthalt des Kindes, z.B. während eines Urlaubs, genüge nicht.
In dem entschiedenen Fall befinde sich das betroffene Kind seit fast zwei Jahren in der Obhut des Kindesvaters und wohne in dessen Wohnung, die im Bezirk des zunächst angerufenen AG Zehdenick gelegen sei. Dieser Aufenthalt des Kindes sei mit Einverständnis der allein sorgeberechtigten Kindesmutter erfolgt. Selbst wenn es insoweit an einem ausdrücklichen erklärten Willen der Kindesmutter fehlen würde, wäre schon unter Beachtung der langen Zeitdauer zumindest von einer konkludent oder stillschweigend erteilten Zustimmung zur Begründung eines Wohnsitzes des betroffenen Kindes an dem Aufenthaltsort bei seinem Vater auszugehen.
Habe danach das Kind seinen (gewillkürten) Wohnsitz in der Wohnung des Vaters, könne dahinstehen, ob zugleich auch ein (gesetzlicher) Wohnsitz des Kindes gemäß § 11 S. 1 BGB bei der allein sorgeberechtigten Kindesmutter gegeben sei. Ein solcher Doppelwohnsitz sei möglich und begründe dann eine Doppelzuständigkeit der jeweiligen Wohnsitzgerichte (OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 1559).
Selbst für den Fall eines Doppelwohnsitzes des betroffenen Kindes bleibe das Gericht zuständig, das als erstes mit der Sache befasst gewesen sei (allgemeine Ansicht, vgl. nur Brandenburgisches OLG, FamRZ 2008, 1267 [1268]). Dies sei hier das zunächst angerufene AG Zehdenick, das damit insgesamt das örtlich zuständige Gericht sei.
Hinweis
Die Entscheidung des OLG Brandenburg enthält den wichtigen Hinweis auf die Unterschiede zwischen gesetzlichem und gewillkürtem Wohnsitz und den Vorrang des letzteren. Für den Praktiker von Bedeutung ist auch der Hinweis auf das Vorgehen bei bestehendem Doppelwohnsitz.
Link zur Entscheidung
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21.08.2008, 9 AR 7/08