Leitsatz
a) Ist mit einer Zwangsvollstreckung die konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, so muss das Vollstreckungsgericht, wenn es zur Abwehr dieser Gefahr die Unterbringung des Schuldners in einer psychiatrischen Einrichtung für erforderlich hält, mit der Vollstreckungsmaßnahme zuwarten, bis die Unterbringung durch die zuständigen Behörden und Gerichte angeordnet und durchgeführt worden ist (im Anschluss an Senat, Beschluss v. 24.11.2005, V ZB 24/05, NJW 2006, 508).
b) Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hat der Tatrichter, bevor er die Unterbringung anregt, stets zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung durch ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Maßnahmen begegnet werden kann. Bei der gebotenen Abwägung mit den Interessen des Gläubigers (und gegebenenfalls des Erstehers) sind die Erfolgsaussichten einer solchen Behandlung und die voraussichtliche Dauer zu berücksichtigen.
c) Regt das Vollstreckungsgericht bei den zuständigen Stellen eine Unterbringung an, sollte es darauf hinweisen, dass die staatliche Aufgabe des Lebensschutzes des Schuldners nicht in einer dauerhaften Einstellung der Vollstreckung gelöst werden kann und dass daher die Zwangsvollstreckung fortzusetzen sein wird, wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Stellen Maßnahmen zum Schutz des Schuldners nicht für notwendig erachten.
(amtliche Leitsätze des BGH)
Normenkette
ZPO § 765a
Kommentar
In dem Ausgangsverfahren hatte das Amtsgericht die Zwangsversteigerung eines vom Eigentümer bewohnten Einfamilienhauses angeordnet. In der Folgezeit wurde ein Zuschlagsbeschluss erlassen, gegen den der Eigentümer sofortige Beschwerde eingelegt hat. Zur Begründung der Beschwerde ist ausgeführt, dass der Eigentümer konkret suizidgefährdet sei. Dieser Vortrag wurde durch ein vom Landgericht eingeholtes amtsärztliches Gutachten bestätigt. Gleichwohl hat das Landgericht das Rechtsmittel zurückgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, dass die Suizidgefahr durch eine Unterbringung des Eigentümers in einem psychiatrischen Krankenhaus beseitigt werden könne. Hierfür sei die Ordnungsbehörde zuständig.
Nach Ansicht des BGH ist dieses Verfahren fehlerhaft: Nach § 765a ZPO kann die Vollstreckung einstweilen eingestellt werden, wenn die Durchführung der Maßnahme für den Schuldner eine besondere Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Ein solcher Fall liegt vor, wenn durch die Maßnahme das Leben des Schuldners gefährdet wird. Auf diesen Umstand kann die Zuschlagsbeschwerde gestützt werden.
Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung hängt in Fällen dieser Art von drei Voraussetzungen ab:
1. Die Interessen des Schuldners am Erhalt seiner Gesundheit sind gegen das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers abzuwägen. Dabei ist dem Lebens- und Gesundheitsschutz ein besonders gewichtiger Stellenwert einzuräumen.
2. Überwiegt das Interesse des Schuldners, so ist sorgfältig zu prüfen, ob die Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung beseitigt werden kann.
3. Kommen solche Maßnahmen (z. B. eine ambulante Behandlung oder die Unterbringung des Schuldners in einem psychiatrischen Krankenhaus) in Betracht, muss das Gericht sicherstellen, dass diese Maßnahmen durchgeführt werden. Es gilt der Grundsatz, dass "die staatliche Aufgabe des Lebensschutzes ... nicht durch eine dauerhafte Einstellung der Vollstreckung gelöst werden" kann. Das Gericht muss die zuständigen Stellen über diese Rechtslage informieren und darauf hinweisen, dass die Zwangsvollstreckung bei Untätigkeit der zuständigen Stellen fortgesetzt wird.
Link zur Entscheidung
BBGH, Beschluss vom 14.06.2007, V ZB 28/07, WuM 2007, 582 = NJW 2007, 3719 = NZM 2007, 658