Leitsatz

Wird ein Zwangsverwaltungsverfahren nicht wegen Antragsrücknahme (§§ 161 Abs. 4, 29 ZVG) oder der vollständigen Befriedigung des Gläubigers (§ 161 Abs. 2 ZVG) aufgehoben, sondern weil das Grundstück in der Zwangsversteigerung zugeschlagen wurde, ist der Zwangsverwalter auch ohne entsprechende Ermächtigung im Aufhebungsbeschluss befugt, wegen Nutzungen aus der Zeit vor der Zuschlagserteilung Klage zu erheben, sofern der die Zwangsverwaltung betreibende Gläubiger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Zuschlagsbeschlusses noch nicht vollständig befriedigt ist.

(amtlicher Leitsatz des BGH)

 

Normenkette

ZVG § 152 Abs. 1

 

Kommentar

Zwischen dem früheren Eigentümer und dem Mieter bestand ein Mietverhältnis über ein gewerblich genutztes Grundstück. Über dieses Grundstück wurde im Jahr 2004 die Zwangsverwaltung angeordnet. Nachdem die Zwangsversteigerung durchgeführt und der Zuschlag im Januar 2007 erteilt wurde, hat das Amtsgericht das Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben. Die Forderungen der das Zwangsverwaltungsverfahren betreibenden Gläubiger des früheren Eigentümers waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht befriedigt. Deshalb hat der Zwangsverwalter im September 2007 den Mieter auf Zahlung von Mietrückständen für die Zeit von Mai 2005 bis Dezember 2006 in Höhe von ca. 162.800 EUR in Anspruch genommen.

Der BGH hatte zu entscheiden, ob dem Zwangsverwalter für eine solche Klage die Prozessführungsbefugnis zusteht. Zu diesem Problem werden im Wesentlichen 3 Ansichten vertreten:

1. Nach einer Meinung verliert der Zwangsverwalter mit der Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens alle Befugnisse (z.B. LG Frankfurt/M., Beschluss v. 12.10.1999, 2/11 S 107/99, Rpfleger 2000 S. 30).

2. Nach der Gegenmeinung bestehen die Befugnisse fort; der Zwangsverwalter kann sowohl bestehende Verfahren fortführen als auch neue Verfahren beginnen (z.B. OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.5.1990, 10 U 24/90, Rpfleger 1990 S. 381). Maßgeblich ist nur, dass die betreffenden Forderungen aus der Zeit der Zwangsverwaltung stammen.

3. Nach einer vermittelnden Ansicht darf der Zwangsverwalter zwar anhängige Verfahren zu Ende führen; er darf aber keine neuen Prozesse beginnen (z.B. Vonnemann, Rpfleger 2002, S. 415, 418).

Der BGH teilt die Ansicht zu Ziffer 2 jedenfalls für solche Fälle, in denen das Zwangsverwaltungsverfahren nicht wegen Antragsrücknahme oder der vollständigen Befriedigung des Gläubigers, sondern nach Erteilung des Zuschlags in der Zwangsversteigerung aufgehoben wurde. Dies beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass die vor der Zuschlagserteilung gezogenen Nutzungen (wozu insbesondere die Mietzinsansprüche gehören) nicht dem Erwerber, sondern den Gläubigern des früheren Grundstücks­eigentümers zustehen. Deshalb ist dem Zwangsverwalter insoweit eine Prozessführungsbefugnis zuzubilligen, ohne dass es darauf ankommt, ob ein entsprechender Rechtsstreit im Zeitpunkt der Beendigung der Zwangsverwaltung bereits anhängig war.

Anmerkung

Uneinheitliche Beurteilung der BGH-Senate

Die Rechtsprechung der BGH-Senate zur Prozessführungsbefugnis des Zwangsverwalters nach Beendigung des Zwangsverwaltungsverfahrens ist nicht einheitlich:

Der für die Gewerbemiete zuständige XII. Senat des BGH hat mit Urteil vom 23.7.2003 (XII ZR 16/00) entschieden, dass der Zwangsverwalter nach § 152 Abs. 1 ZVG alle Maßnahmen ergreifen muss, die für eine ordnungsgemäße Verwaltung des Grundstücks erforderlich sind. Wird die Pachtsache nach der Beendigung des Pachtverhältnisses nicht zurückgegeben, tritt die Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB an die Stelle des Pachtzinses. Folgerichtig muss der Zwangsverwalter diesen Anspruch geltend machen. Für die Klagebefugnis spielt es keine Rolle, ob die Zwangsverwaltung noch besteht oder (wie im Entscheidungsfall) nach zwischenzeitlich erfolgter Zwangsversteigerung aufgehoben worden ist. Maßgeblich ist allein, dass die Ansprüche während der Zeit der Zwangsverwaltung entstanden sind.

In dem Urteil vom 25.5.2005 (VIII ZR 301/03, Rpfleger 2005 S. 559) hatte der für die Wohnraummiete zuständige Senat des BGH einen Fall zu entscheiden, in dem eine Mieterin den Zwangsverwalter auf Rückzahlung einer Kaution in Anspruch genommen hat. Die Klageschrift ist am 30.9.2002 bei Gericht eingegangen. Am 4.11.2002 wurde die Zwangsverwaltung – nach Abschluss der Zwangsversteigerung – aufgehoben. Die Kautionsrückzahlungsklage wurde dem Zwangsverwalter nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 27.12.2002, zugestellt. Der BGH hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Zwangsverwalter nach der Aufhebung der Zwangsverwaltung nur noch solche Aufgaben wahrnehmen darf, die der Abwicklung der Zwangsverwaltung dienen.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil v. 11.8.2010, XII ZR 181/08, NJW 2010 S. 3033

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