Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Zur Zwangsvollstreckung ungeeigneter Prozessvergleich kann als materiell-rechtlicher Vergleichs- Vertrag dennoch wirksam sein (Auslegung nach materiellem Recht)
Hier: Vergleich nach Veränderung ursprünglicher Zwei-Flügel-Fenster in Einscheiben-Fenster (Beseitigungs- und Wiederherstellungsantrag)
Beschwer und Geschäftswert des Verfahrens auf Beseitigung einer baulichen Veränderung mit optischer Beeinträchtigung der Wohnanlage
Normenkette
§ 44 Abs. 2 WEG, § 45 Abs. 1 und Abs. 3 WEG, § 779 BGB, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
Kommentar
1. Von dem Vergleich als Prozess- oder Verfahrenshandlung (Prozessvertrag) ist der Vergleich als materiell-rechtlicher Vertrag im Sinne von § 779 Abs. 1 BGB zu unterscheiden. Inhalt und Umfang der materiell-rechtlichen Vereinbarung einerseits und des prozessualen Vertrages andererseits können auseinanderfallen. Der materiell-rechtliche Vertrag ist nach den allgemein für Verträge geltenden Grundsätzen auszulegen ( § 133 BGB, § 157 BGB). Die fehlende Vollstreckbarkeit eines Vergleiches lässt dessen Wirksamkeit als auslegungsfähige materiell-rechtliche Vereinbarung grundsätzlich unberührt (vgl. BGH, NJW 85, 1962; OLG Zweibrücken, NJW-RR 98, 1680).
2. Ist also ein Prozessvergleich zur Zwangsvollstreckung nicht geeignet, weil er inhaltlich zu unbestimmt ist und sich die zu vollstreckende Handlung oder Leistung auch durch Auslegung des Vergleiches nicht bestimmen lässt, so kann ein Vergleich als materiell-rechtlicher Vertrag dennoch wirksam sein; für die Auslegung gelten insoweit die großzügigeren Grundsätze des materiellen Rechts. Zu unbestimmt war der Vergleich hier deshalb, da dort nur von "optischer Anpassung" die Rede war.
Ein Anspruch muss hier auf der Basis des Vergleiches als Anspruchsgrundlage grundsätzlich in einem neuen Verfahren geltend gemacht werden (wie vorliegend auch geschehen). Selbst einer im Vergleich erklärten Antragsrücknahme kommt insoweit keine selbstständige Bedeutung zu.
Aus diesem Grund musste die Sache an das LG zurückverwiesen werden (zum Zwecke auch der Beteiligung der übrigen Eigentümer am Verfahren und neuer mündlicher Verhandlung).
Mangels ausreichender "optischer Anpassung" in ausreichendem Maße wurde dem Antragsgegner auch die im Vergleich übernommene Verpflichtung nach Ansicht des Senats bisher ebenfalls noch nicht erfüllt.
3. Hinsichtlich der Beschwer auch dieses Verfahrens bei Beeinträchtigung des optischen Gesamteindrucks einer Wohnanlage ist von einem Erreichen der erforderlichen Beschwer von mehr als DM 1.500,- ( § 45 Abs. 1 WEG) auszugehen. Insoweit verweist der Senat auch nochmals auf seine Entscheidung vom 24. 3. 1994 (WM 94, 565) mit diversen Beispielsfällen zu solchen optisch als störend bezeichneten baulichen Veränderungsmaßnahmen des Gemeinschaftseigentums und dem dortigen Hinweis, "dass es rechtsstaatlichen Grundsätzen mehr entspreche, in Zweifelsfällen, zu denen auch solche gehörten, in denen die Bestimmung des Geschäftswertes oder der Beschwer mangels konkreter Anhaltspunkte weitgehend Ermessenssache sei, von der Zulässigkeit eines Rechtsmittels auszugehen und in der Sache zu entscheiden"(vgl. jetzt auch KG, WM 95, 231; Bärmann/Merle, 8. Aufl., § 45 Rn. 31 am Ende). Gerade Fenstern eines Hauses und deren einheitlicher oder uneinheitlicher Gestalt kommt i.Ü. eine erhebliche Bedeutung für das optische Erscheinungsbild des Hauses zu.
4. Geschäftswert für alle Instanzen DM 4.000,- (in Änderung der Beschlüsse des LG und AG).
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 27.04.2000, 2Z BR 187/99)
zu Gruppe 7: Gerichtliches Verfahren