Eine Pflichtteilsentziehung und ihr Motiv müssen glaubhaft begründet sein
Das Erbrecht hat alte Wurzel und nahe Familienmitglieder völlig außen vor zu lassen ist nicht ohne Weiteres möglich.
Sohn oder Sozialeinrichtung – wer bekommt den Pflichtteil?
Das LG Frankenthal hatte den Fall einer Familie zu entscheiden, in dem das Verhältnis der Eltern zu ihrem einzigen Abkömmling so stark zerrüttet war, dass sie ihn gern aus der Erbfolge gestrichen hätten. Der Sohn wehrte sich nach dem Tod seiner zuletzt verstorbenen Mutter dagegen, dass sein Pflichtteil i.H.v. knapp 27.000 EUR an eine soziale Einrichtung ging.
Fast 23 Jahre vor ihrem Tod Pflichtteilsentzug notariell beurkundet
Wenige Monate vor ihrem Tod hatte die Erblasserin per notariellem Testament die Sozialeinrichtung als Pflichtteilsempfänger bestimmt. Schon 23 Jahre zuvor aber waren sich die Eltern einig, dass ihr Sohn jedenfalls keinen Pfennig von ihnen erben sollte. Seinerzeit hatten sie zu diesem Zwecke einen notariellen Erbvertrag mit dem Pflichtteilsentzug aufgesetzt.
Körperverletzung der Mutter soll Pflichtteilsentzug begründen
Laut der Urkunde beriefen sich die Eltern auf einen Vorfall aus dem Vorjahr. Sie behaupten, der Sohn hätte seiner Mutter mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, was nach ärztlichem Attest in einer Schädelprellung resultierte. Die Eheleute bezogen sich auf den Arztbericht sowie auf die von der Mutter gestellte Strafanzeige.
Sohn schildert Notwehrsituation
Der Sohn der Verstorbenen stellte die Sache vor Gericht anders dar. Er habe lediglich die von der Mutter ausgehenden Schläge abgewehrt. Dabei hätten sich Beide verletzt. Auch er hatte Strafanzeige gestellt. Die Ermittlungsverfahren wurden eingestellt.
Gericht war nicht überzeugt, dass Körperverletzung der Grund für Pflichtteilsentzug war
Das LG Frankenthal hatte so seine Zweifel an der ganzen Pflichtteilsentziehung, insbesondere den Motiven. Das in der Urkunde Genannte war dem Gericht zu wenig, zu unbewiesen und als alleiniger Grund nicht überzeugend, insbesondere als herauskam, dass der handgreifliche Streit wohl nur die Spitze des Eisbergs war.
Sohn führte nicht das Leben, das die Eltern sich für ihn und sich wünschten
Es war v.a. der vom Junior eingeschlagene Lebensweg, der den Eltern missfiel. Sie hatten einen hohen Kredit für das Architekturstudium des Sohnes aufgenommen, der dieses aber heimlich abbrach und das Geld „verprasste“, während das Darlehen nicht bedient wurde. Die Zwangsversteigerung des elterlichen Anwesens war die Folge.
Pflichtteilsrecht verfassungsrechtlich geschützt
Dies war sehr unerfreulich, aber wäre kein gesetzlich anerkannter Grund für eine Pflichtteilsentziehung gewesen. Die Erbrechtsgarantie und der Schutz der Familie mit der Pflicht zur gegenseitigen Sorge sind zwei Grundsatzpfeiler des Pflichtteilsrechts, die im Grundgesetz verankert sind (Art. 14 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG). Es ist daher nur in drastischen Ausnahmefällen entziehbar, wie die Aufzählung in § 2333 BGB deutlich macht.
Körperliche Misshandlung muss mit Zeichen der Verachtung einhergehen
Eine vorsätzliche Körperverletzung wäre theoretisch Grund genug, um einen Pflichtteil zu entziehen, jedenfalls dann, wenn das Verhalten des Abkömmlings zusätzlich eine schwere Pietätsverletzung, also eine „schwere Verletzung der dem Erblasser geschuldeten familiären Achtung“ zum Ausdruck bringt.
Gründe für Pflichtteilsentzug zu wenig aufschlussreich und unbewiesen
Dafür war dem Gericht der Urkundeninhalt zu dünn, v.a. weil formell eine Darstellung des Kernsachverhalts mit einer gewissen Konkretisierung der Gründe vorausgesetzt wird (§ 2336 Abs. 1, 2 BGB). Im Ergebnis war der Vorfall zu ungenau beschrieben und zudem vom Sohn bestritten. Damit blieb die beklagte Sozialeinrichtung den ihr obliegenden Beweis schuldig (§ 2336 Abs. 3 BGB) und musste auf den Geldsegen verzichten.
(LG Frankenthal, Urteil v. 11.3.2021, 8 O 308/20).
Weitere Beiträge zum Thema.
Wann darf der Pflichtteil entzogen werden?
Pflichtteilsentziehung muss im Testament stehen
Trotz enterbtem Sohn - Pflichtteilanspruch für den Enkel
Hintergrund: Entziehung des Pflichtteils
Gesetzlich geregelt ist die Entziehung in § 2333 Abs. 1 BGB. Danach können Eltern ihrem Kind den Pflichtteil entziehen,
- wenn sich dieses einer schweren Straftat gegenüber dem Erblasser oder einer diesem nahestehenden Person schuldig gemacht hat,
- wenn er den vorgenannten Personen nach dem Leben trachtet oder
- wenn er die ihm gegenüber dem Erblasser gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt hat.
- Die letzte Alternative gem. § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB ermöglicht die Entziehung des Pflichtteils, wenn das Kind wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Kindes am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist.
In seinem Testament muss der Erblasser die Umstände bzw. Vorfälle, mit denen er seine Maßnahme begründet, möglichst konkret darlegen, § 2336 Abs. 2 BGB. Es ist sogar zulässig die Pflichtteilsentziehung für den Fall anzuordnen, dass sich der Verdacht des Vorliegens eines bestimmten und benannten Entziehungsgrundes in der Zukunft bestätigt. Die Pflichtteilseinziehung wird durch Verzeihung i. S. d. § 2337 BGB hinfällig.
-
Wie lange müssen Eltern für erwachsene Kinder Unterhalt zahlen?
2.9592
-
Kein gemeinsames Sorgerecht bei schwerwiegenden Kommunikationsstörungen der Eltern
2.276
-
Auskunftsansprüche beim Kindesunterhalt
1.565
-
Neue Düsseldorfer Tabelle 2025
1.400
-
Wann gilt zusätzlicher Unterhaltsbedarf des Kindes als Mehrbedarf oder Sonderbedarf?
1.2332
-
Tilgungsleistungen auch beim Kindesunterhalt abzugsfähig
836
-
BGH zum Ablauf der 10-Jahres-Frist bei Immobilienschenkung mit Wohnrecht
786
-
Wohnvorteil beim betreuenden Elternteil hat keinen Einfluss auf den Kindesunterhalt
718
-
Auswirkung auf Unterhalt und Pflegegeld, wenn die Großmutter ein Enkelkind betreut
509
-
Kann das volljährige Kind auf Geldunterhalt statt Naturalunterhalt bestehen?
490
-
Neue Düsseldorfer Tabelle 2025
17.12.2024
-
Leistung aus Sterbegeldversicherung gehört zum Nachlass
27.11.2024
-
Erfasst ein Gewaltschutz-Kontaktverbot die Teilnahme an einer WhatsApp-Gruppe?
27.11.2024
-
Alleiniges Sorgerecht bei häuslicher Gewalt
16.10.2024
-
Anwälte müssen den sichersten rechtlichen Weg wählen
09.10.2024
-
Krankenhaus muss Behandlungsakte an Gericht herausgeben
08.10.2024
-
Irrtumsanfechtung einer Erbausschlagung
17.09.2024
-
Grundlagen eines Unternehmertestaments
16.09.2024
-
Nach der Trennung kein Wechselmodell für gemeinsamen Hund
13.09.2024
-
Wirksames Testament trotz Demenz
10.09.2024