Pflichtteilsrecht der Tochter nach Erbverzicht der Mutter

Pflichtteilsansprüche eines entfernteren Abkömmlings können nicht durch den Erblasser geschmälert werden, indem er den nähere Abkömmlinge des selben Stamms trotz dessen Erbverzicht zum Alleinerben bestimmt. Durch den Verzicht gilt er gegenüber dem entfernteren als vorverstorben.

Es ging um den Nachlass eines Eltern- bzw. Großelternpaar mit einer wankelmütigen Tochter und einer zupackenden Enkelin.

Eltern/Großeltern regeln ihren Nachlass, Tochter verzichtet

Der Erblasser und seine Frau errichteten 1987 ein notarielles gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Erben und ihre Enkelkinder zu Schlusserben einsetzten. Dem Überlebenden des Erstversterbenden wurde das Recht vorbehalten, aus dem Kreis der gemeinschaftlichen Kinder/Enkel abweichende Schlusserben zu bestimmen.

Am selben Tag verzichtete die Tochter ihren Eltern gegenüber allein für ihre Person, nicht aber für ihre Abkömmlinge, auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht.

Witwer setzt Tochter trotz Verzicht als Alleinerbin  ein

Nach dem Tod seiner Ehefrau setzte der Erblasser 2000 seine Tochter mit notariellem Testament zu seiner alleinigen und ausschließlichen Erbin ein. Er ernannte zugleich die Enkelin (Tochter seiner Tochter) zur Ersatzerbin. Tochter und Enkelin sind die einzigen Abkömmlinge des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau.

Enkelin klagt Pflichtteil von ihrer Mutter ein und verlangt Auskunft

Mit der Klage verlangte die Enkelin von ihrer Mutter Zahlung in Höhe von 85.000 EUR nebst Zinsen sowie Auskunft über den Bestand des Nachlasses und Einholung eines Wertermittlungsgutachtens bezüglich dem Nachlass zugehörigen Grundvermögens.

Die Erbin vertrat die Auffassung, dass § 2309 BGB einer Pflichtteilsberechtigung der Enkelin (ihrer Tochter) entgegensteht.

BGH bejaht im konkreten Fall die Pflichtteilsberechtigung der Enkelin

Die Enkelin ist pflichtteilsberechtigt, auch wenn deren Mutter der nähere und als solcher grundsätzlich vorrangige Abkömmling des Erblassers ist.

Die Mutter gilt infolge ihres Erb- und Pflichtteilsverzichts gemäß § 2346 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB als vorverstorben. An ihrer Stelle ist ihre Tochter in die gesetzliche Erb- und Pflichtteilsfolge eingerückt.

  • Ihre Position als gesetzliche Erbin ihres Großvaters wurde der Enkelin durch dessen Testament aber wieder entzogen. Der Erblasser war durch den Erbverzicht nicht daran gehindert, seine Tochter als Erbin einzusetzen.

  • Das Berufungsgericht hat zu Unrecht in der Annahme des testamentarisch zugewendeten Erbes eine auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnende Entgegennahme eines der Tochter "Hinterlassenen" i.S. vom § 2309 Alt. 2 BGB gesehen.

Regelung soll nur eine Pflichtteilsvervielfältigung zu Lasten des Nachlasses auszuschließen

Von dem Normzweck des § 2309 BGB wird die Erbfolge nach dem Vater bzw. Großvater der beiden Parteien nicht erfasst. Gehören der trotz Erb-und Pflichtteilsverzichts zum gewillkürten Alleinerben bestimmte nähere Abkömmling und der entferntere Pflichtteilsberechtige dem einzigen Stamm gesetzlicher Erben an, berühren die Zuwendungen nur das Innenverhältnis dieses Stammes.

Bleiben solche Zuwendungen - hier die testamentarische Erbeinsetzung der Tochter - bei der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen unberücksichtigt, droht dem Nachlass keine Vervielfältigung der Pflichtteilslast.

(BGH, Urteil v. 27.6.2012, IV ZR 239/10).

§ 2309 BGB Pflichtteilsrecht der Eltern und entfernteren Abkömmlinge

Entferntere Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers sind insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt.


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