Verlängerung der Unterhaltsgewährung bei der Betreuung eines behinderten Kindes
Der BGH hatte über den der Mutter eines nichtehelichen Kindes zu gewährenden Betreuungsunterhalt über den Regelzeitraum von drei Jahren hinaus zu entscheiden. Der im Oktober 2010 geborenen Sohn ist zu 100 % schwer behindert, leidet unter einer Chromosomenanomalie („Down-Syndrom“) und ist in die Pflegestufe 2 eingestuft. Ihr Lehramtsstudium hatte die Kindesmutter anlässlich der Geburt des Kindes unterbrochen. Inzwischen lebt sie mit ihrem Sohn im Haus der Eltern und hat ihr Studium wieder aufgenommen. Seit September 2012 besucht der Sohn eine Kindertagesstätte, die speziell für behinderte Kinder eingerichtet ist und über besonders ausgebildete Betreuungskräfte verfügt. Zur Ergänzung wöchentlich stattfindender Therapien muss die Kindesmutter mit dem Kind täglich Übungen durchführen. Darüber hinaus ist der Sohn häufig krank und muss dann vorzeitig von der Kindertagesstätte abgeholt werden.
Kindesmutter verlangt Betreuungsunterhalt für mehr als 3 Jahre
Zum Zeitpunkt der Geburt war der Kindesvater ebenfalls Student. Nach abgeschlossenem Studium ist er inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität tätig. Ab November 2012 hat die Kindesmutter Betreuungsunterhalt geltend gemacht. Das Familiengericht hat den Kindesvater zur Zahlung eines monatlichen Betreuungsunterhaltsbetrages in Höhe von 800 Euro verurteilt. Das OLG hat die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung auf die Beschwerde des Kindesvaters auf den Zeitraum bis Oktober 2013 beschränkt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde macht die Kindesmutter Unterhaltsansprüche auch für den Zeitraum nach Oktober 2013 geltend.
Regelmäßige Dauer des Betreuungsunterhalts: 3 Jahre
Der BGH verwies zunächst auf § 1615 l Abs. 2 BGB. Hiernach stehe der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes über die Dauer des Mutterschutzes hinaus ein Unterhaltsanspruch gegen den Vater zu, wenn von der Mutter wegen der Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Dieser Anspruch bestehe nach dem Gesetz für mindestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes. Das Gesetz lasse allerdings eine Verlängerung des Anspruchs aus Billigkeitsgründen zu. Dabei seien
- die Belange des Kindes und
- die Möglichkeiten der Kindesmutter, das Kind betreuen zu lassen,
die nach ständiger Rechtsprechung entscheidenden Kriterien (BGH, Urteil vom 13.1.2010, XII ZR 123/08).
Darlegungs- und Beweispflicht liegt beim Unterhaltsberechtigten
Aus diesen Grundsätzen folgert der BGH, dass ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt jedenfalls dann nicht mehr besteht, wenn ein Kind eine kindgerechte Betreuungseinrichtungen besucht oder nach den individuellen Verhältnissen besuchen könnte. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts müsse der Unterhaltsberechtigte darlegen und beweisen, das heißt, der Unterhaltsberechtigte kann eine über die Regelfrist von drei Jahren hinausgehende Unterhaltszahlung nur erreichen, wenn er nachweist, dass
- eine kindgerechte Einrichtung für die Betreuung des gemeinsamen Kindes nicht zur Verfügung steht,
- oder dass aus besonderen Gründen eine persönliche Betreuung des Kindes unbedingt erforderlich ist (kindbezogene Gründe),
- oder besondere Gründe für die Annahme einer eingeschränkten Erwerbsverpflichtung (elternbezogene Gründe) bestehen (BGH, Urteil v. 17.6.2009, XII ZR 102/08).
Besonderer Betreuungsbedarf
Auf den Fall bezogen bedeutet dies nach Auffassung des Senats, dass hinreichend berücksichtigt werden muss, dass das gemeinsame Kind
- behindert,
- sehr häufig krank,
- in seiner Entwicklung gestört,
- und deshalb auf besondere Betreuung durch die Mutter angewiesen ist.
Das Kind sei hier zwar in einer auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Einrichtung untergebracht. Aufgrund der ständigen Therapien und der erheblichen Zahl von Krankheitstagen des Kindes (60 Krankheitstage in einem Jahr), müsse die Kindesmutter allerdings ständig damit rechnen, dass eine persönliche Betreuung des Kindes notwendig wird. Sowohl morgens als auch am späten Nachmittag als auch abends könnten regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen erforderlich werden je nach dem akuten, individuellen Betreuungsbedarf des Kindes.
Wiederaufnahme des Studiums liegt im eigenen Interesse
Ergänzend hat der Senat allerdings auch klargestellt, dass die Wiederaufnahme des Studiums kein eigenständiger Grund für die Verlängerung der Regelzeit zur Zahlung des Betreuungsunterhalts sei. Soweit der betreuende Elternteil nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes von einer Erwerbstätigkeit absehe, um sein Studium zu beenden, geschehe dies im eigenen Interesse und nicht im Interesse des Kindes. Dies sei daher unterhaltsrechtlich keine relevante Begründung für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts.
Der Bedarf der Mutter ist an ihrer hypothetischen Lebensstellung zu messen
Die näheren Umstände der erforderlichen besonderen Erziehungs- und Betreuungsleistungen hat das OLG nach Auffassung des Senats nicht hinreichend geklärt. Insoweit hat der BGH das Verfahren zur weiteren Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Allerdings hat der Senat der Vorinstanz zusätzliche Vorgaben hinsichtlich der Höhe des Unterhalts gemacht. Diese sei am Bedarf des betreuenden Elternteils zu messen. Maßstab für den Bedarf sei die Lebensstellung der Unterhaltsberechtigten. Ein wichtiger Gesichtspunkt sei hierbei die Frage, welche Einkünfte die Unterhaltsberechtigte ohne die Geburt und die Betreuung des gemeinsamen Kindes heute hätte (BGH, Urteil v. 15.12.2004, XII ZR 121/03). Da die Kindesmutter ohne die Geburt des Kindes ihr Studium nicht unterbrochen hätte, ist nach Auffassung des Senats nach der bei Fortführung des Studiums inzwischen hypothetisch erreichen Lebensstellung zu fragen. Den hieraus folgenden erhöhten Bedarf dürfte die Kindesmutter selbst bei Ausübung einer Teilzeittätigkeit nicht decken können. Im Klartext bedeutet dies, dass der Bedarf unter Berücksichtigung eines Lehrergehaltes zu berechnen wäre. Auch insoweit hat das OLG den Sachverhalt aber noch näher aufzuklären.
(BGH, Beschluss v. 10.6.2015, XII ZB 251/14)
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