Anwaltsgerichtshof stärkt die Rechte der Syndikusanwälte
Ein Rechtsanwalt, der im April 1994 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wurde, war seit September 1995 bei einer Versicherung als juristischer Sachbearbeiter in Vollzeit angestellt. Seit Mai 2001 war er Gruppenleiter der Abteilung Firmenkunden-Schaden Haftpflicht- und Spezialschäden. In dieser Funktion bewertete er die haftungs- und deckungsrechtliche Sachlage von „Über-Limit-Haftpflichtschäden“ aus den Bereichen der Produkt-, Umwelt-, Bau- und Informationstechnologie sowie aus der Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, Notare und Patentanwälte. Seit dem 1.1.2002 war er außerdem leitender Handlungsbevollmächtigter.
Rentenversicherungsanstalt klagte gegen Syndikuszulassung
In dieser Funktion war er auf seinen Antrag von der Rentenversicherung mit Wirkung ab dem 4.11.1994 von der Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung befreit und leistete in der Folgezeit ausschließlich Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande NRW. Im Jahr 2014 machte die Rentenversicherung geltend, dass die Voraussetzungen für die Befreiung nicht mehr vorlägen, worauf die Arbeitgeberin ihren Mitarbeiter mit Wirkung zum 1.1.2015 zur gesetzlichen Rentenversicherung anmeldete. Ein Jahr später beantragte der Betroffene bei der Rechtsanwaltskammer Köln erneut seine Zulassung als Syndikusanwalt für seine Tätigkeit bei der Versicherung. Im Mai 2016 entsprach die Rechtsanwaltskammer Köln dem Antrag. Den Zulassungsbescheid focht die Rentenversicherung an mit dem Ziel, den Anwalt weiter zur Beitragszahlung in die Rentenversicherung zu verpflichten.
AGH weist die Klage ab
Die Anfechtungsklage der Rentenversicherung hatte vor dem AGH keinen Erfolg. Der AGH sah die Voraussetzung für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt gemäß §§ 46 a, 46 Abs. 2-5 BRAO als erfüllt an. Insbesondere wies der AGH die Einwendung des Rentenversicherungsträgers zurück, der Schwerpunkt der Aufgaben des Betroffenen bei der Versicherung sei keine volljuristische, sondern eine kaufmännische Tätigkeit.
Breites Spektrum an Rechtskenntnissen erwartet
Der AGH hob die wirtschaftliche Bedeutung der Bearbeitung der Schadensfälle für das Versicherungsunternehmen hervor. Vor diesem Hintergrund lege das Unternehmen zu Recht Wert auf Kenntnisse des einschlägigen materiellen Rechts, der Grundsätze der juristischen Kausalität, der Verschuldenszurechnung, des Verjährungsrechts und des Prozessrechts. Darüber hinaus würden auch Kenntnisse des internationalen, grenzüberschreitenden Versicherungsrechts erwartet.
Selbständige rechtliche Beratung als tragendes Tätigkeitsmerkmal
Vor diesem Hintergrund sei die Tätigkeit des Betroffenen als anspruchsvolle juristische Tätigkeit zu werten.
- Der Betroffene habe laut Stellenbeschreibung den Versicherungsnehmer und den Vorstand des Unternehmens über mögliche Handlungsoptionen, über die Möglichkeiten der Schadensregulierung sowie die mögliche Abwehr von Ansprüchen zu beraten,
- selbständig Vergleichsverhandlungen zu führen und selbständig Rechtsverhältnisse zu begründen und zu gestalten,
- gegebenenfalls Rechtsanwälte mit der Prozessführung zu beauftragen und dabei die Risiken und Chancen von Prozessen einzuschätzen.
Dabei sei nicht zu übersehen, dass die versicherungsrechtliche Materie komplex sei, hierfür eine besondere Fachanwaltschaftsbezeichnung eingerichtet sei und versicherungsrechtliche Fälle bei den Obergerichten von Fachsenaten bearbeitet würden.
Die anwaltliche Tätigkeit prägt das Anstellungsverhältnis
Im Ergebnis kommt der AGH zu der Beurteilung, dass die anwaltliche Tätigkeit des Betroffenen das bestehende Beschäftigungsverhältnis prägt. Die juristische Tätigkeit übe der Betroffene fachlich unabhängig und eigenverantwortlich aus, so dass in diesen spezifischen juristischen Bereichen weder ein allgemeines noch ein konkretes Weisungsrecht der Arbeitgeberin bestehe. Die fachliche Unabhängigkeit sei durch verschiedene Formulierungen des Arbeitsvertrags arbeitsvertraglich eindeutig vereinbart. Die Zulassung zur Anwaltschaft sei daher unter jedem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Die Anfechtung des Zulassungsbeschlusses durch den Rentenversicherungsträger ging damit ins Leere.
(AGH NRW, Urteil v. 28.10.2016, 1 AGH 33/16)
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