Anwaltsgericht interessiert sich nicht für Sexualdelikte eines Anwalts
Ein Rechtsanwalt wurde durch das Amtsgericht Frankfurt wegen sexueller Nötigung gem. § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB in einem Fall sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gem. § 182 Abs. 2 StGB in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Anwalt beging sexuelle Nötigung
Im ersten Fall stellte er über eine Internetplattform zu einer volljährigen Frau einen Kontakt her, mit der er gegen Zahlung eines Geldbetrages sexuelle Handlungen vereinbarte. Zu diesem Zweck traf er sich mit ihr in deren Wohnung in Köln. Nachdem die sexuellen Handlungen zunächst einvernehmlich erfolgten, setzte er dann seine sexuellen Wünsche gegen den nun eindeutig und unmissverständlich artikulierten Willen der Frau mit Gewalt durch.
In den fünf Fällen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen bahnte er über Kontaktplattformen Kontakt zu jugendlichen Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren an, denen er Geld für sexuelle Handlungen anbot. Diese Jugendlichen traf er jeweils in Hotels und veranlasste diese zu sexuellen Handlungen, für die er als Gegenleistung Beträge zwischen 40 Euro und 200 Euro zahlte.
Keine Verbindung zwischen Beruf und Privatleben
Das Anwaltsgericht Frankfurt lehnte es unter Hinweis auf § 113 Absatz 2 BRAO dennoch ab, gegen den umtriebigen Anwalt ein berufsrechtliches Verfahren einzuleiten.
In der Vorschrift heißt es:
- „Ein außerhalb des Berufs liegendes Verhalten eines Rechtsanwalts, das eine rechtswidrige Tat oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung darstellt,
- ist eine anwaltsgerichtlich zu ahndende Pflichtverletzung,
- wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist,
- Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.“
Die Voraussetzungen dieser Norm liegen im vorliegenden Fall nach Ansicht des Gerichts nicht vor.
Wann ist ein Verhalten berufsbezogen?
Es handele sich bei der Tat um ein außerhalb des Berufs liegendes Verhalten des Rechtsanwalts i.S. des § 113 Abs. 2 BRAO.
Für die Abgrenzung des Verhaltens eines Rechtsanwalts zwischen beruflichem und außerberuflichem Verhalten komme es auf die materielle Berufsbezogenheit des Verhaltens an.
- Durch das Verhalten müssten irgendwelche beruflichen Pflichten nach der BRAO oder der Berufsordnung verletzt worden sein.
- Es müsse ein funktionaler und kausaler Zusammenhang zwischen der rechtswidrigen Tat bzw. der mit Geldbuße bedrohten Handlung und der Berufsausübung bestehen.
- Entscheidend sei, ob das Verhalten den Beruf betrifft, d.h. es mit einer rechtsberatenden oder rechtsvertretenden Tätigkeit im weitesten Sinne in Verbindung steht oder nicht.
- Im vorliegenden Fall bestehe keinerlei Verbindung zwischen den rein auf privater Ebene erfolgten sexuellen Handlungen des Rechtsanwalts mit seinen Opfern mit einer anwaltlichen Tätigkeit im weitesten Sinne.
Sicht des rechtsuchenden Publikums entscheidend
Eine anwaltsgerichtliche Ahndung wäre nach Meinung des Gerichts nur dann möglich, wenn das Verhalten nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen des Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
Ob eine Achtungs- und Vertrauensminderung durch diese Tat vorliegt, ist aus der Sicht des rechtssuchenden Publikums zu beurteilen, befanden die Frankfurter Anwaltsrichter.
Für eine anwaltsgerichtliche Ahndung reiche nicht, die an eine rechtswidrige Tat oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung allgemein anknüpfende Achtungs- und Vertrauensminderung aus.
- Vielmehr muss die Tat bzw. die Handlung geeignet sein zu bewirken,
- dass Rechtssuchende, gerade bezogen auf die Anwaltstätigkeit des Betroffenen,
- Zweifel an dessen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit bekommen können.
Vermögens- und Eigentumsdelikte zerstören Vertrauen
Eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im Hinblick auf die Stellung des Rechtsanwalts komme vor allem dort in Betracht, wo das außerberufliche Verhalten Belange der Rechtspflege berühre.
Das sei besonders dann der Fall, wenn die Verfehlung trotz ihres Begehens im außerberuflichen Bereich Zweifel an der beruflichen Zuverlässigkeit begründe.
Dies werde insbesondere bei Vermögens- und Eigentumsdelikten bejaht, bei denen Schäden aus Gewinnsucht verursacht werden sowie Taten, die mit bewusst wahrheitswidrigen Angaben des Rechtsanwalts im Zusammenhang stehen, wie bspw. beim Betrug.
Der Rechtsanwalt sei auch im außerberuflichen Bereich in besonderem Maße der Wahrheit verpflichtet und Verstöße gegen die Wahrheitspflicht könnten einen Rechtssuchenden zweifeln lassen, ob ein solcher Rechtsanwalt über die hinreichende Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit verfügt.
Sexualdelikte zeigen keine anwaltsrelevanten Defizite
Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze sei ein anwaltsgerichtliches Ahndungsbedürfnis i.S. des § 113 Abs. 2 BRAO zu verneinen.
Die in den Straftaten zum Ausdruck kommenden Verhaltensdefizite des Rechtsanwalts tangierten nicht die allgemein an einen Rechtsanwalt zu stellenden charakterlichen Anforderungen, wie sie gerade für eine seriöse und zuverlässige Bearbeitung von Rechtsfällen gefordert sei.
- Die vom Rechtsanwalt begangenen Straftaten verlangten zwar eine sexualpsychologische Aufarbeitung,
- zeigten aber keine charakterlichen Defizite etwa im Bereich der Wahrheitspflicht oder des Umgangs mit Vermögenswerten,
- die im Rechtsverkehr eine erhebliche Rolle spielten.
Auch habe bei den Taten sein Beruf als Rechtsanwalt in keiner Weise eine Rolle gespielt. Den Entscheidungsgründen des strafgerichtlichen Urteils sei nicht zu entnehmen, dass die Opfer überhaupt wussten, dass der Täter Rechtsanwalt war. Insoweit habe die berufliche Stellung als Rechtsanwalt auch nicht in irgendeiner Weise bei der Tatbegehung eine Funktion gehabt.
Betrug war nicht aufklärbar
Soweit der Rechtsanwalt in einem Fall dem Opfer nicht das erwartete gesamte Geld, sondern nur einen geringeren Betrag bezahlt habe, folge hieraus keine andere Bewertung. Es habe sich hier nur um einen Nebenaspekt gehandelt, der dem Geschehen nicht das Gepräge gebe. Es sei insoweit auch keine Verurteilung wegen Betruges erfolgt, da der Sachverhalt nicht belege, dass der höhere Betrag nicht lediglich von der Geschädigten erwartet wurde, sondern auch vereinbart war.
Zuverlässigkeit des Compliance-Syndikusanwalts nicht in Frage gestellt
Ergänzend ist nach Ansicht des Gerichts noch von Relevanz, dass auch ein sachlicher Bezug zwischen den begangenen Straftaten und der anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts fehle.
- Der Rechtsanwalt sei als Syndikusanwalt bei einer Bank im Bereich Compliance beschäftigt.
- Weshalb die vorliegende Tat seine Zuverlässigkeit in seinem Arbeitsbereich in Frage stellen solle, sei nicht ersichtlich.
Die Eröffnung des Hauptverfahrens war deshalb nach Auffassung der Anwaltsrichter abzulehnen. Aus diesem Grund musste die Rechtsanwaltskammer auch die Kosten und notwendigen Auslagen des Rechtsanwalts tragen.
(Anwaltsgericht Frankfurt, Beschluss vom 21.12.2016, IV AG 55/16-4 EV 411/14).
Anmerkung: Hier hat das Gericht aber zumindest den Begriff Compliance aber sehr eng ausgelegt.
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