Aktenweitergabe an externen Gutachter durch Anwalt

Rechtsanwälte begehen keinen Geheimnisverrat, wenn sie die Expertise von externen Sachverständigen in Anspruch nehmen und an diese ungeschwärztes Aktenmaterial herausgeben.

Das AG Hamburg hatte sich mit einem gegen einen Anwalt eingeleiteten Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats zu beschäftigen. Die StA warf dem Anwalt vor, eine gutachterliche Einschätzung des Aussageverhaltens eines Kindes durch eine Psychologin ohne Schwärzung der Namen an einen externen Sachverständigen zur Beurteilung möglicher Ungereimtheiten weitergegeben zu haben.

Strafverteidiger schaltete externen Sachverständigen ein

Der Anwalt hatte als Strafverteidiger einen wegen Kindesmissbrauchs Angeklagten vertreten. Eine Psychologin hatte im Auftrag der StA die aussagepsychologische Qualität der Angaben des geschädigten Kindes zum Sachverhalt geprüft. Die gutachterliche Einschätzung der Psychologin übersandte der Verteidiger ohne Unkenntlichmachung der Namen und der sonstigen persönlichen Angaben an einen externen psychologischen Sachverständigen zur Überprüfung möglicher methodischer Fehler der Psychologin.

Ermittlungsverfahren gegen Strafverteidiger wegen Geheimnisverrats

Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Strafverteidiger wegen Geheimnisverrats gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB zum Nachteil des Kindes ein. Das AG sprach den Strafverteidiger von dem Vorwurf des Geheimnisverrats frei.

Weitergabe des Gutachtens war kein Geheimnisverrat

Nach Auffassung des AG war schon der Tatbestand des § 203 Abs. 1 StGB nicht erfüllt. Gemäß § 203 Abs. 1 Ziffer 3 StGB mache sich ein Rechtsanwalt des Geheimnisverrats schuldig, wenn er ein ihm anvertrautes Geheimnis offenbart. Ein „Offenbaren“ im Sinne dieser Vorschrift erfordere, dass einem Rechtsanwalt anvertraute Informationen aus der durch die berufliche Schweigepflicht geschützten Vertrauenssphäre nach außen dringt. Dies sei vorliegend nicht geschehen.

Informationsweitergabe an externe Hilfsperson ist kein „Offenbaren“

Die Weitergabe der psychologischen Einschätzung des Aussageverhaltens des Kindes an einen externen Sachverständigen stellt nach Auffassung des AG kein „Offenbaren“ im Sinne des Tatbestandes des Geheimnisverrats dar. Der Sachverständige, auch wenn er nicht in die Funktionseinheit des Berufsgeheimnisträgers eingebunden ist, sei als berufsmäßig für den Angeklagten tätiger Gehilfe anzusehen. Nach der gesetzgeberischen Intention solle dem Berufsgeheimnisträger durch die Strafvorschriften nicht die erforderliche Mitwirkung Dritter an seiner beruflichen Tätigkeit abgeschnitten werden.

Die gesetzgeberische Wertung ist eindeutig

Die Möglichkeit der Einholung fachlicher Expertise eines externen Sachverständigen folgt nach Ansicht des Gerichts auch aus der Vorschrift des § 43a Abs. 2 Satz 6 Var. 2 BORA. Danach stehen Personen, die im Rahmen einer Hilfstätigkeit an der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts mitwirken, hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht den vom Rechtsanwalt in seiner Kanzlei beschäftigten Mitarbeitern gleich. Das Gleiche folge aus dem Schutzzweck des § 53a StPO, wonach ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht nur den in § 53 StPO genannten Berufsgeheimnisträgern, sondern auch den sonst an der beruflichen Tätigkeit der Geheimnisträger teilnehmenden Personen zustehe.

Berufsgeheimnisse sind auch bei Sachverständigen sicher

Vor diesem Hintergrund gehe die Rechtsprechung folgerichtig davon aus, dass die von einem Verteidiger beauftragten Sachverständigen anstelle des Strafverteidigers eine Ermittlungsakte auch unmittelbar selbst entgegennehmen dürfen, und zwar selbst dann, wenn sie nicht als Sachverständige im Verfahren auftreten (OLG Brandenburg, Beschluss v. 20.9.1995, 2 Ws 174/95). Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass auch bei diesen Personen die dem Rechtsanwalt als Berufsgeheimnisträger anvertrauten Geheimnisse grundsätzlich in seiner Sphäre bleiben und diese nicht in ungesetzlicher Weise verlassen.

Anwalt vom Vorwurf des Geheimnisverrats freigesprochen

Nach alledem hatte der angeklagte Rechtsanwalt keinerlei Berufsgeheimnisse verletzt und sich daher auch nicht nach § 203 Abs. 3 StGB strafbar gemacht. Das AG hat den Rechtsanwalt daher vom Vorwurf des Geheimnisverrats freigesprochen.

(AG Hamburg, Urteil v. 22.2.2024, 242 Ds 120/23)