Anwaltliche Fristenkontrolle im Homeoffice

Auch im Homeoffice müssen Anwälte die Kontrolle über eine korrekte Berechnung von Rechtsmittelfristen durch Zugriff auf die Original-Handakte behalten und ausüben.

Das OLG Dresden hat einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgewiesen, weil die Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die fehlerhafte Eintragung einer Berufungsbegründungsfrist durch ihre ansonsten zuverlässige Mitarbeiterin aus dem Homeoffice nicht bemerkt hatte. Aus dem Homeoffice hatte sie keinen Zugriff auf die lediglich analog und nicht elektronisch geführte Handakte.

Berufungsbegründung um 2 Tage verspätet

Mit der erstinstanzlich nicht erfolgreichen Klage begehrte der Kläger Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung im Wert von über 100.000 Euro. Seine Prozessbevollmächtigte hatte gegen das Urteil rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ging jedoch mit 2 Tagen Verspätung auf dem Gerichtsserver des zuständigen OLG ein.

Fehlerhafte Fristenberechnung der Berufungsbegründungsfrist

Hintergrund der Fristversäumnis war eine fehlerhafte Berechnung der Berufungsbegründungsfrist durch die nach Darstellung in der eidesstattlichen Versicherung der Prozessbevollmächtigten ansonsten stets zuverlässig arbeitende Kanzleiangestellte. Diese hatte den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist fälschlicherweise mit einem Monat ab dem Datum des Ablaufs der Berufungsfrist berechnet. Die Monatsfrist seit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils fiel auf einen Samstag, sodass die Berufungsfrist erst am darauffolgenden Montag ablief. Dies hatte die Kanzleiangestellte bei Berechnung der 2-monatigen Berufungsbegründungsfrist nicht berücksichtigt.

Keine hinreichenden Vorkehrungen zur Fristenkontrolle

Dem Berufungskläger half es nicht, dass die Kanzleiangestellte laut ihrer eidesstattlichen Versicherung seit mehr als 10 Jahren in der Kanzlei den Fristenkalender zuverlässig geführt hatte. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers war nach Auffassung des OLG nicht in hinreichendem Maße ihrer Pflicht nachgekommen, ausreichende organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um Fehlerquellen bei der Eintragung von Rechtsmittelfristen nach Möglichkeit auszuschließen (BGH, Beschluss v. 9.5.2017, VIII ZB 5/16).

Fristenkontrolle in der Handakte erforderlich

Der Senat räumte grundsätzlich ein, dass Rechtsanwälte bei der Kontrolle von Fristen in der Wahl der geeigneten Mittel, wie die Fristenkontrolle erfolgt, grundsätzlich frei sind (BGH, Beschluss v. 4.8.2018, VIII ZB 70/17). Jedoch sei in jedem Fall eine eigenständige Kontrolle der richtigen Berechnung und Eintragung der Fristen in der Handakte durch den Anwalt selbst erforderlich. Eine solche Kontrolle der Handakte habe die Prozessbevollmächtigte im konkreten Fall nicht vorgenommen, da sie nach ihrem eigenen Vortrag aus dem Homeoffice keinen Zugriff auf die Handakte gehabt habe.

Anwalt muss Fristvermerke in der Handakte nachrechnen

Nach der Entscheidung des OLG ist ein Rechtsanwalt, sobald er im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit einer Sache befasst wird, gehalten, die Richtigkeit der Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen (BGH, Beschluss v. 9.7.2014, XII ZB 709/13). Dies gelte u.a. auch bei Vorlage einer Sache im Rahmen einer Vorfrist (BGH, Beschluss v. 22.11.2022, VIII ZB 2/22).

Unrichtigkeit der Fristenberechnung war in der Handakte leicht erkennbar  

Vor diesem Hintergrund wäre die Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers nach der Entscheidung des OLG verpflichtet gewesen, sich anhand der Handakte, in der das Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils vermerkt war, eigenständig Gewissheit darüber zu verschaffen, dass die Berufungsbegründungsfrist korrekt berechnet war. Bei einem Blick in die Handakte wäre der Prozessbevollmächtigten nach Auffassung des Senats ohne weiteres aufgefallen, dass die Berechnung der 2-monatigen Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft von dem Ablauf der Berufungsfrist ausgehend und nicht ab dem Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils berechnet war.

Keine Einschränkung der Sorgfaltsanforderungen bei mobilem Arbeiten

Die Tätigkeit im Homeoffice entlastete die Prozessbevollmächtigte nach der Entscheidung des OLG nicht. Auch im Homeoffice müsse der Anwalt sich Zugriff auf die Handakte verschaffen. Gegebenenfalls müsse die Papier-Handakte in elektronische Form übertragen werden, sodass der Anwalt auch außerhalb der Kanzlei auf die ein Handakte zugreifen kann. Das OLG stellte ausdrücklich fest, dass die an den Rechtsanwalt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen bei der Fristenkontrolle durch die mit dem mobilen Arbeiten verbundene Ortsunabhängigkeit in keiner Weise eingeschränkt werden.

Wiedereinsetzung abgelehnt

Im Ergebnis war die Berufung damit verfristet. Der Wiedereinsetzungsantrag blieb ohne Erfolg, da die schuldhafte Pflichtverletzung der Prozessbevollmächtigten ihrem Mandanten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen war.

(OLG Dresden, Beschluss v. 12.8.2024, 4 U 862/24)