Keine Anwaltshaftung trotz Fristversäumnis

Bei Versäumung einer Rechtsmittelfrist durch eine Anwältin kommt eine Haftung wegen Verletzung des Mandatsvertrages nicht in Betracht, wenn das versäumte Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Das LG Karlsruhe hat sich in einer Entscheidung ausführlich mit den Voraussetzungen der Anwaltshaftung wegen Verletzung des Mandatsvertrages befasst.

Mandat zur Klage gegen die Deutsche Rentenversicherung

Der Kläger des vom LG entschiedenen Verfahrens hatte die beklagte Rechtsanwältin mit einem Verfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung vor dem Sozialgericht beauftragt. In dem Verfahren ging es um eine Rentenkürzung infolge eines Fehlers des vom Kläger eingeschalteten Rentenberaters bei der Ausfüllung eines Rentenantrages. Das SG wies die Klage ab mit der Begründung, der Kläger müsse sich den Fehler seines Rentenberaters zurechnen lassen.

Berufungsfrist verpasst

Die vom Kläger mit der Einlegung eines Rechtsmittels beauftragte Anwältin hatte die Frist zur Berufung beim LSG verpasst. Der von ihr gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand wurde abgewiesen und die verspätet eingelegte Berufung als unzulässig verworfen. Daraufhin hat der Kläger seine Anwältin gerichtlich auf Regress in Anspruch genommen.

Voraussetzungen eines Anwaltsregresses

Das LG wies die Regressklage als unbegründet ab. Die Voraussetzungen für eine Haftung der Anwältin lagen nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Die Haftung einer Anwältin oder eines Anwalts aus einer Verletzung des Klientenauftrages setze voraus, dass

  • dem Mandanten ein Schaden entstanden ist,
  • der kausal
  • auf eine schuldhafte
  • anwaltliche Pflichtverletzung

zurückzuführen ist.

Inzidente Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung erforderlich

Nach der Bewertung des LG fehlte es im vorliegenden Fall schon an der Entstehung eines Schadens. Die Feststellung eines Schadens des Klägers sei hier von dem Ausgang des vom Kläger angestrebten Berufungsverfahrens abhängig. In einem solchen Fall müsse das Gericht prüfen, ob das Rechtsmittel zugunsten des Anspruchstellers zum Erfolg geführt hätte (BGH, Urteil v. 16.6.2005, IXZR 27/04). Hierbei habe das Regressgericht seiner Entscheidung den Sachverhalt zu Grunde zu legen, der dem Gericht des Vorverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwaltes unterbreitet worden wäre.

Eingeschränkte Beweislast bei feststehender Pflichtverletzung

Nehme ein Mandant nach einem verlorenen Prozess seinen Rechtsanwalt auf Schadenersatz in Anspruch, müsse er im Haftungsprozess

  • Vollbeweis lediglich für den Pflichtverstoß antreten und
  • darlegen, dass seine Interessen hierdurch in einer Weise betroffen sind, dass die Möglichkeit nachteiliger Folgen besteht.
  • Hinsichtlich des Schadenseintritts und dessen Höhe genüge dann die Darlegung einer deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGH, Urteil v. 20.3.2008, IX ZR 236/06).

Im konkreten Fall fehlte es nach Auffassung des LG an der Darlegung eines infolge der Fristversäumnis möglichen Schadens des Klägers.

Berufung hätte keine Aussicht auf Erfolg gehabt

Nach der Bewertung des Gerichts war ein Schaden deshalb nicht eingetreten, weil auch bei einem rechtzeitig eingelegten Rechtsmittel die Berufung – auch unter Beachtung der Besonderheiten eines sozialgerichtlichen Berufungsverfahrens als zweiter Tatsacheninstanz   gemäß §§ 157, 159 SGG - keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die Vorinstanz habe zutreffend entschieden, dass der vom Rentenberater mit unzutreffenden Angaben ausgefüllte Rentenantrag des Klägers diesem zuzurechnen sei.

Fehler im Rentenantrag vom Kläger verschuldet

Der Kläger habe den Antrag seines Beraters ohne Prüfung „blind unterschrieben“. Dies habe das SG in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zu Recht als grobes Verschulden des Klägers bewertet (BSG, Urteil v. 8.12.2022, B 7/14 AS 11/21). Dies gelte umso mehr, als der Kläger als ehemaliger Versicherungsvertreter mit Antragsformularen vertraut sei und den Antrag problemlos auf die Richtigkeit der eingetragenen Angaben hätte überprüfen können. Deshalb habe das SG die Klage zu Recht abgewiesen. In der Berufungsinstanz wäre rechtlich keine andere Bewertung in Betracht gekommen.

Keine Schadensverursachung durch Pflichtverletzung der Anwältin

Im Ergebnis kam es nach der Entscheidung des LG deshalb nicht darauf an, ob die Versäumung der Berufungsfrist von der Beklagten Rechtsanwältin schuldhaft verursacht wurde, denn infolge der mangelnden Erfolgsaussicht des Berufungsverfahrens sei ein kausal auf ein mögliches Verschulden der Anwältin zurückzuführender Schaden nicht feststellbar.

(LG Karlsruhe, Urteil v. 9.8.2024, 6 O 202/23)


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