Freiverkehrswerte für Barabfindung

Bei nur im Freiverkehr gehandelten Aktien kann der Börsenkurs jedenfalls dann nicht als Untergrenze der Abfindung herangezogen werden, wenn bei der Preisfindung wesentliche wertrelevante Informationen nicht berücksichtigt werden.

Hintergrund

An der A-AG hielt die Hauptaktionärin 95 % der Aktien. Zum Erwerb der restlichen 5 % beschloss die Hauptversammlung der A-AG, die Aktien der Minderheitsaktionäre gegen eine Barabfindung in Höhe von 1 EUR je Aktie auf die Hauptaktionärin zu übertragen (sog. aktienrechtlicher Squeeze-Out).

Die Minderheitsaktionäre beantragten die Festsetzung einer höheren Barabfindung. Sie wendeten insbesondere ein, dass die angebotene Barabfindung deutlich unterhalb des gewichteten Durchschnittskurses für die drei Monate vor Bekanntmachung des Squeeze-Out („Referenzzeitraum“) in Höhe von 1,90 EUR liege. Dieser Drei-Monats-Kurs bilde aber die Untergrenze der Barabfindung.

OLG München, Beschluss v. 17.7.2014, 31 Wx 407/13

Das OLG München entschied, der Börsenkurs sei für die Barabfindung nicht maßgeblich, da es im Referenzzeitraum keinen hinreichend liquiden Handel mit den Aktien der A-AG gegeben habe. Auch hätten sich wesentliche wertrelevante Umstände nicht im Kurs der Aktie niedergeschlagen.

Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob mit Blick auf das niedrige Transparenzniveau des Freiverkehrs dieses Marktsegment überhaupt hinreichend informationseffizient ist, um als Bemessungsgrundlage für die Barabfindung herangezogen zu werden, ließ das OLG München dabei ausdrücklich offen. Vielmehr müsse bei Freiverkehrswerten besonders genau geprüft werden, ob preisrelevante Informationen in die Kursbildung einfließen und ob ein so liquider Börsenhandel stattfindet, dass die Börsenpreise den Verkehrswert widerspiegeln.

Im Fall der A-AG wurden aber nur noch wenige Aktien gehandelt, und der Börsenkurs reagierte auf wesentliche, preissensitive Entwicklungen nicht (mehr). Der Börsenkurs sei daher nicht als Untergrenze der Barabfindung zugrunde zu legen.

Anmerkung

Bei Strukturmaßnahmen (Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, Squeeze Out) ist den Minderheitsaktionären ein Abfindungsangebot zu unterbreiten. Dieses muss den anteiligen Verkehrswert wiedergeben, der regelmäßig durch eine Unternehmensbewertung ermittelt wird. Der gewichtete Durchschnittskurs der Aktien im Referenzzeitraum stellt grundsätzlich deren Untergrenze dar. Gerade im Freiverkehr besteht aber ein erhöhtes Risiko, dass sich aufgrund der verringerten Publizitätspflichten und geringeren Handelsvolumina der Börsenkurs kaum noch verändert. Kann kein hinreichend liquider Handel festgestellt werden, dann bestimmt sich die Barabfindung nach dem Ertragswert oder sogar anhand des Liquidationswertes.

Praxishinweis

Nach dem OLG Düsseldorf hat mit dem OLG München bereits das zweite Obergericht in diesem Sinne entschieden. Der Wechsel in den Freiverkehr kann daher eine Option sein, um die Kosten einer Strukturmaßnahme zu verringern Einen solchen Wechsel hat der BGH im Jahr 2013 erheblich vereinfacht, da nun kein Hauptversammlungsbeschluss mehr nötig ist. Strukturmaßnahmen sollten daher von langer Hand geplant werden, damit die Kosten nicht ausufern.

Rechtsanwälte Dr. Hendrik Thies, Dr. Oliver Wasmeier, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg


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