Ist der Einbehalt der Kursgewinne durch die Lebensversicherer verfassungswidrig?
Zu Lasten der Versicherungsnehmer hat das LG Düsseldorf einen Rechtsstreit entschieden, den der Bund der Versicherten (BdV) gegen die zum Ergo-Konzern gehörende Victoria-Versicherung führt.
Es geht letztlich um die Verfassungsmäßigkeit der Lebensversicherungsreform 2014.
Weitgehender Ausschluss der Versicherten von Gewinnen
Im konkreten Fall hatte die Versicherung einem Kunden
- bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages eine Beteiligung in Höhe von ca. 2.800 Euro in Aussicht gestellt.
- Bei Beendigung der Versicherung waren es dann tatsächlich knapp 150 Euro.
Gesetzesreform zu Lasten vieler Versicherungsnehmer
Im Kern geht es bei dem Streit um eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2014.
Das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) schreibt seither den Versicherungen vor, Kursgewinne aus festverzinslichen Wertpapieren nur in dem Maße auszuschütten, in dem Garantiezusagen für die restlichen Versicherten sicher bleiben.
Vor der Reform waren die Versicherungen häufig gezwungen, hochprozentige Papiere zu verkaufen, um ausscheidende Kunden an den Reserven beteiligen zu können. Dies ging im wesentlichen zu Lasten der großen Mehrheit der anderen Versicherten, deren Verträge weiterliefen. Die für sie verbleibenden Reserven schrumpften hierdurch zusehends.
Gesetzgeber wollte die Lebensversicherungen retten
Mit der aus der Not geborenen Reform hatte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund extremer Niedrigzinsen die Versicherungen stärken wollen, um der Gefahr zu entgehen, dass Lebensversicherungen die den Kunden zugesagten Garantiezinsen nicht mehr erwirtschaften konnten. Die vordergründig gegen die Interessen der Versicherten angelegte Reform war nach Auffassung des Gesetzgebers aus Allgemeinwohlinteressen daher unabdingbar.
Reform laut BdV verfassungswidrig
Vor dem Hintergrund des LVRG hatte der BdV-Chef Axel Kleinlein eine ablehnende Entscheidung des LG in dem anhängigen Rechtstreit durchaus erwartet. Auch nach seiner Auffassung ist die Versagung der Auszahlung von Anlageerträgen an den Kunden durch Lebensversicherungen formal gesetzeskonform. Den Rechtstreit führt der BdV aber deshalb, weil er die Reform von 2014 für verfassungswidrig hält.
BdV: Faktische Enteignung der Kunden
Die Argumentation des BdV: Der Gesetzgeber habe bei seiner Reform nicht die Bewertungsreserven aus Kursgewinnen von Aktien und Wertpapieren berücksichtigt.
Die Buchwerte festverzinslicher Papiere und anderer Anlagen, die Versicherer vor längerer Zeit erworben hätten, seien während der Zinsflaute teilweise sehr deutlich gestiegen.
Tatsächlich sind nach Schätzungen bis zum Jahr 2013 die sich hieraus gebildeten Reserven der Versicherungen auf über 75 Milliarden Euro angewachsen.
Die gesetzliche Kürzung der Bewertungsreserven bezeichnet der BdV-Chef vor diesem Hintergrund als faktische Enteignung. Der Ergo-Konzern selbst äußerte sich wegen des laufenden Verfahrens bisher nicht.
Der Streit geht in die nächste Instanz
So dürfte die Düsseldorfer Entscheidung nur eine Station auf dem Weg zum BGH und später vielleicht auch noch zum BVerfG sein. Der BdV hat diese Stationen längst eingeplant. Kleinlein jedenfalls kündigte unmittelbar nach dem Urteil an: „Wir werden auf jeden Fall den Weg zum BGH einschlagen“.
(LG Düsseldorf, Urteil v. 13.07.2017, 9 S 46/16).
Hintergrund:
Das Lebensversicherungsreformgesetz versuchte, der Branche die notwendige Stabilität zu verleihen und mutete dafür Versicherungskunden erhebliche Einschnitte zu. Doch gelöst wird dadurch das Grundproblem der Produktgattung Lebensversicherung nicht. So lange die Zinsen niedrig bleiben, werden die Leistungen der Versicherungen auch weiter abnehmen und Versicherungsnehmer wie Sparer sich mit immer niedrigeren Auszahlungen begnügen müssen.
Hinweis zu Verträgen:
Betroffene Versicherungskunden sollten sich im Fall des Auslaufens einer Lebensversicherung oder bei deren frühzeitiger Beendigung die spätere Geltendmachung möglicher Rechte wegen einer vorenthaltenen Beteiligung an Anlagegewinnen oder gebildeten Buchreserven ausdrücklich vorbehalten.
Bei drohender (3-jähriger) Verjährung hilft allerdings nur eine gerichtliche Geltendmachung oder ein von der Versicherung erklärter ausdrücklicher Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede.
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