Von einer Anhörung kann in bestimmten Fällen abgesehen werden.
1.1 Gefahr im Verzug
Die Verzögerung des Erlasses eines Verwaltungsaktes birgt durch die Durchführung des Anhörungsverfahrens die konkrete Gefahr eines Schadens (Dringlichkeit zur Schadensverhinderung). Es ist ggf. eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse erforderlich.
1.2 Fristeinhaltung
Würde die Wahrung einer Frist durch die Anhörung nicht möglich sein, so kann von der Anhörung abgesehen werden (z. B. Beanstandung von rechtsunwirksamen Beiträgen nach § 26 Abs. 2 SGB IV oder Rücknahme rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 Abs. 3 bis 4 SGB X).
1.3 Keine Abweichung von Angaben des Beteiligten zu seinen Ungunsten
Eine Anhörung ist entbehrlich, wenn mit der beabsichtigten Entscheidung von den tatsächlichen Angaben nicht zuungunsten des Berechtigten abgewichen werden soll. Sie ist erst recht nicht erforderlich, wenn die Entscheidung den Berechtigten über das Begehren hinaus begünstigen soll.
Anhörung nicht erforderlich
Ein Versicherter mit Rentenbezug teilt mit, dass er jetzt einen Arbeitsplatz gefunden hat. Der Versicherungsträger entscheidet sich daraufhin zur Entziehung oder Umwandlung einer Rente. Hier bedarf es keiner Anhörung.
1.4 Allgemeinverfügung
Bei Allgemeinverfügungen oder gleichartigen in größerer Zahl zu erlassenden Verwaltungsakten würde eine vorherige Anhörung aller Betroffenen die Behörde erheblich belasten (z. B. bei Beitragsbescheiden einer Krankenkasse wegen Änderung der Beitragsbemessungsgrenze oder der Bezugsgröße).
1.5 Anpassungsbescheide wegen Veränderung der Einkommensverhältnisse
Die Vorschrift hat vor allem Bedeutung bei der Anpassung von einkommensabhängigen Leistungen. Ein Absehen von der Anhörung ist in diesen Fällen sinnvoll, weil der Berechtigte bereits in den Bewilligungsbescheiden auf die Rechtsfolge bei Zusammentreffen mit anderen Leistungen hingewiesen wurde (z. B. Bürgergeld, Sozialhilfe).
1.6 Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung
Eine vorherige Anhörung würde die Vollstreckung gefährden.
1.7 Aufrechnung/Verrechnung mit Bagatellbeträgen
Ein Anhörungsverfahren ist nicht zwingend durchzuführen, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 EUR aufgerechnet oder verrechnet werden soll. Die Regelung dient der Vermeidung unverhältnismäßiger Verwaltungskosten.
Die Anhörung eines Beteiligten erfolgt sowohl zum Sachverhalt als auch zu dessen rechtlicher Würdigung. Unter diesem Aspekt ist eine Anhörung nur dann wirksam erfolgt, wenn der Versicherungsträger dem Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen und Umstände so unterbreitet hat, dass der Beteiligte sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann.