Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Arbeitszeitverkürzungstage. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. betriebliche Übung. Parallelsache: – 5 AZR 109/03 –
Orientierungssatz
Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV verpflichtet den Arbeitgeber nicht zur Gewährung von Arbeitszeitverkürzungstagen (AZV-Tagen) ohne eine über 35 Stunden wöchentlich hinausgehende tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Satz 3 von Ziff. 2 begründet keinen Anspruch auf einen bezahlten AZV-Tag unabhängig von tatsächlicher Arbeitsleistung, sondern enthält eine verbindliche Berechnungsgröße für die Betriebspartner zur Umsetzung des MTV für den Fall der Beibehaltung der 40-Stunden-Woche.
Normenkette
EFZG § 4; MTV Druckindustrie vom 6. Februar 1997 Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über Arbeitszeitverkürzungstage.
Der Kläger ist seit 1970 als Tiefdrucker bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Februar 1997 (MTV) Anwendung. Nach § 3 Ziff. 1 Satz 1 MTV beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden. Tatsächlich arbeitet der Kläger 40 Stunden in der Woche. Die über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit wird durch Arbeitszeitverkürzungstage (AZV-Tage) in Freizeit ausgeglichen. Hierzu bestimmt Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV, die nach § 17 MTV Bestandteil des Tarifvertrags sind, folgendes:
“Die durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit entstehende Freizeit ist auf der Basis einer Quartals-, Halbjahres- oder Jahresplanung, die jeweils rechtzeitig durch Betriebsvereinbarung zu regeln ist, wie folgt zu verteilen:
- Verteilung gleichmäßig (ergibt 35 Stunden pro Woche; in den neuen Bundesländern 38 Stunden pro Woche) oder
- bezahlte Freistellung in Stunden, verteilt auf die Arbeitswochen des Quartals, Halbjahres oder Jahres oder(*)
- bezahlte Freistellung in Tagen, verteilt auf die Arbeitswochen des Quartals, Halbjahres oder Jahres oder
- Kombination aus b) bis c).
Bei den Alternativen b) bis d) sind Auftragslage und Beschäftigungssituation des Betriebes vorrangig zu berücksichtigen.
Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beträgt die durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit entstehende Freizeit bei Berechnung nach Tagen c) für ein Jahr 30 Tage; neue Bundesländer: 12 Tage.
Fällt einer dieser freien Tage mit Zeiten einer Krankheit oder einer Abwesenheit aus sonstigen Gründen (z.B. § 11 MTV) zusammen, so ist er verbraucht.
Fällt einer dieser freien Tage mit Zeiten des Tarifurlaubs zusammen, so wird der Tarifurlaub insoweit nicht verbraucht.
Die freien Tage sind innerhalb eines Jahres abzunehmen, anderenfalls verfallen sie.”
Der Kläger erhält einen verstetigten Arbeitsverdienst auf der Grundlage einer 35-Stunden-Woche. Für AZV-Tage werden sieben Stunden pro Tag bezahlt. Ein- und austretende Arbeitnehmer der Beklagten haben einen anteiligen Anspruch auf bezahlte AZV-Tage im Umfang von einem Zwölftel je vollem Monat der Beschäftigung in der jeweiligen Arbeitszeitverkürzungsperiode. Diese läuft vom 1. April bis zum 31. März des Folgejahres. Befristet Beschäftigte erhalten aus organisatorischen Gründen keine AZV-Tage, sondern die geleistete Arbeitszeit bis zu 40 Wochenstunden mit dem Grundlohn und Schichtzuschlägen vergütet.
Der Kläger war im AZV-Jahr 2001/2002 an insgesamt 16 Tagen arbeitsunfähig krank und erhielt für die Fehltage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Hinsichtlich der Entgeltfortzahlung enthält § 12 MTV ua. folgende Bestimmungen:
- “Im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, wird das Arbeitsentgelt bis zur Dauer von 6 Wochen unabhängig von § 4 Abs. 1 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes fortgezahlt.
Als Arbeitsentgelt im Sinne der Ziff. 1 gilt abweichend von § 4 Abs. 1 aufgrund von § 4 Abs. 4 Entgeltfortzahlungsgesetz der Durchschnittsverdienst der 3 abgerechneten Lohnabrechnungsmonate oder der 13 abgerechneten Lohnwochen (Berechnungszeitraum), die der Lohnwoche, in der die Arbeitsunfähigkeit beginnt, vorausgehen. Es kann auch ein längerer Zeitraum bis zu einem Jahr zugrunde gelegt werden, wenn hierüber mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung erfolgt. Für die Ermittlung des Durchschnittsverdienstes gelten die Durchführungsbestimmungen (6) zu § 10 ohne Beispiele 1 und 2 und ohne den letzten Absatz sowie die Durchführungsbestimmung (8) zu § 10. Zur Ermittlung des täglichen Arbeitsentgeltes wird der festgestellte Durchschnittsverdienst durch 65(*) geteilt.
Durch Betriebsvereinbarung kann auch geregelt werden, daß sich das Arbeitsentgelt danach berechnet, was der Arbeitnehmer verdient haben würde, wenn er gearbeitet hätte. Bei der Berechnung des Arbeitsentgelts bleibt bei beiden Berechnungsarten die Überstundenbezahlung (einschließlich tariflicher Überstundenzuschläge) und die Antrittgebühr unberücksichtigt.”
Unter Hinweis auf die Krankheitstage des Klägers zog die Beklagte von den 30 AZV-Tagen für 2001/2002 zwei Tage ab. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung verlangt der Kläger mit seiner Klage die Gutschrift dieser zwei AZV-Tage.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Monatskonto des Klägers zwei AZV-Tage (aus dem AZV-Jahr 2001/2002) gutzuschreiben, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger noch zwei restliche Freizeittage aus dem Jahr 2001 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, ohne tatsächliche Arbeitsleistung bestehe kein Anspruch auf die Gewährung von AZV-Tagen. Es handele es sich um eine Rechengröße zur Verteilung der tariflichen Wochenarbeitszeit.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gutschrift von zwei AZV-Tagen.
- Die Klage ist zulässig. Der Streitgegenstand ist im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Die Beklagte führt Listen, auf denen entstandene AZV-Tage gutgeschrieben sowie Freistellungen verbucht werden. Aus dem Hauptantrag ist ersichtlich, dass zwei AZV-Tage aus dem Jahr 2001/2002 auf diesen Listen gutgeschrieben werden sollen.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zeitgutschrift.
1. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch. Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV, die gem. § 17 MTV Teil des Tarifvertrags sind, verpflichtet den Arbeitgeber nicht zur Gewährung von AZV-Tagen ohne eine über 35 Stunden wöchentlich hinausgehende tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.
a) Der Kläger kann sich zur Begründung seines Anspruchs nicht auf den Wortlaut von Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV stützen. Die dort geregelte Verteilung der durch die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden entstehenden Freizeit bei einer tatsächlichen Arbeitszeit von 40 Stunden begründet keinen Anspruch. Die Regelung listet zunächst vier Varianten der Freizeitverteilung auf: Neben der gleichmäßig reduzierten Wochenarbeitszeit von 35 Stunden kann eine bezahlte Freistellung in Stunden oder Tagen sowie einer Kombination beider Freistellungsformen erfolgen. Im dritten Satz der Ziff. 2 heißt es dann: “Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beträgt die durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit entstehende Freizeit bei Berechnung nach Tagen c) für ein Jahr 30 Tage; neue Bundesländer: 12 Tage”. Dieser Satz enthält keine Anspruchsgrundlage (§ 194 BGB) für Freistellungsansprüche, die losgelöst von der tatsächlichen Arbeitsleistung bestehen. Die Bestimmung räumt dem Arbeitnehmer nicht das Recht ein, vom Arbeitgeber die Gewährung bezahlter Freistellung verlangen zu können. Die Wortauslegung deutet vielmehr darauf hin, dass es sich bei den 30 Tagen um eine Rechengröße handelt: Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden soll die entstehende Freizeit für ein Jahr 30 Tage “betragen”. Die 30 Tage sind der Betrag, der sich aus einer vom Tarifvertrag verbindlich vorgegebenen Umrechnung der über die tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden in der Woche hinaus tatsächlich geleisteten 40 Wochenstunden in bezahlte Freistellungstage im Jahr ergibt.
b) Diese semantische Auslegung wird durch den sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebenden Zweck der Ziff. 2 bestätigt.
aa) Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV gibt verschiedene Wege vor, wie die durch Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden (alte Bundesländer) bzw. 38 Stunden (neue Bundesländer) vom Tarifvertrag so bezeichnete “entstehende Freizeit” verteilt werden soll. Der Tarifbegriff “entstehende Freizeit” bezieht sich auf die Verteilung der Arbeitszeit. Die Differenz zu der zuvor geltenden längeren tariflichen Arbeitszeit kann nach Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen gleichmäßig auf alle Tage der Woche verteilt werden, mit der Folge, dass wöchentlich nicht mehr 36,5 Stunden, sondern nur noch 35 Stunden zu arbeiten sind. In diesem Fall entsprechen sich tatsächliche und tarifliche Wochenarbeitszeit (lineare Arbeitszeitverkürzung). Überschreitet dagegen die tatsächliche Wochenarbeitszeit die tarifvertraglich vereinbarte, kann die tarifliche Wochenarbeitszeit durch bezahlte Freistellung in Stunden und/oder Tagen herbeigeführt werden. Damit soll die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden unabhängig von der jeweiligen Betriebsnutzungszeit umgesetzt werden.
bb) Die bezahlte Freistellung bezweckt nicht, ähnlich dem Erholungsurlaub einzelnen Arbeitnehmern ohne Gegenleistung bezahlte Freizeit zuzuwenden. Das zeigt der Vergleich mit den Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit linear verkürzt wird. Diese Mitarbeiter können bei Fehlzeiten keine Freizeitguthaben aufbauen. Sie erhalten Entgelt nur für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung. Folgt man der Ansicht des Klägers, könnten Arbeitnehmer in Betrieben, die die Arbeitszeitverkürzung nicht linear umsetzen, unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung, also auch bei Fehlzeiten, Freizeitguthaben erlangen. Sie behielten ihren Anspruch auf 30 AZV-Tage sogar bei unentschuldigtem Fehlen. Ein solches Verständnis der Tarifnorm führte zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) beider Arbeitnehmergruppen. Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien keine Regelung treffen wollen, die gegen höherrangiges Recht verstößt (BAG 21. Januar 1987 – 4 AZR 547/86 – BAGE 54, 113). Dem tariflichen Gesamtzusammenhang ist nicht zu entnehmen, dass der Tarifvertrag diese beiden Gruppen ohne erkennbaren sachlichen Grund ungleich behandeln will. Die in Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV eröffneten Wege zur Verteilung der Arbeitszeit auf die Berechnungsperiode stehen daher gleichwertig nebeneinander. Auch die verstetigte Vergütung des Klägers auf der Basis einer 35-Stunden-Woche und die damit verbundene Bezahlung des AZV-Tages mit sieben Stunden verdeutlichen die Gleichwertigkeit der Arbeitszeitmodelle.
cc) Satz 3 von Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV begründet damit keinen Anspruch auf einen bezahlten AZV-Tag unabhängig von tatsächlicher Arbeitsleistung, sondern enthält eine verbindliche Berechnungsgröße für die Betriebspartner zur Umsetzung des MTV für den Fall der Beibehaltung der 40-Stunden-Woche. Hierdurch wird den Betriebspartnern aufgezeigt, wie die Zahl der Freistellungstage bei einer über 35 Wochenstunden tatsächlich hinausgehenden regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden und ganzjähriger Beschäftigung zu berechnen ist. Mit Hilfe dieser Rechengröße lässt sich bestimmen, wie viele Freistellungstage bei einer anderen tatsächlichen wöchentlichen Arbeitszeit (zB 38 Stunden) oder bei Ein- und Austritt des Arbeitnehmers aus dem Arbeitszeitmodell im Laufe des Jahres entstehen.
dd) Die in Ziff. 2 Satz 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV getroffene Regelung für ein Zusammentreffen von AZV-Tagen und Krankheitstagen steht der vom Kläger vertretenen Gleichsetzung der AZV-Tage mit dem Erholungsurlaub entgegen. Während nach § 9 BUrlG Tage der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, ist ein AZV-Tag verbraucht, wenn er mit einem Krankheitstag des Arbeitnehmers zusammentrifft. Dies macht deutlich, dass der in Ziff. 2 Satz 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV geregelte AZV-Tag nicht wie ein Urlaubstag zu behandeln ist. Andererseits trifft Satz 3 der Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV keine Aussage zur Entstehung von AZV-Tagen. Er regelt vielmehr allein den Fall, dass ein eingeplanter AZV-Tag mit einer nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers an einem festgelegten AZV-Tag zusammenfällt (vgl. Senat 2. Dezember 1987 – 5 AZR 652/86 – AP LohnFG § 1 Nr. 76 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 37). Deshalb sind die Ausführungen des Klägers zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift für die hier streitigen Fragen nicht erheblich.
ee) Die weiteren tariflichen Regelungen zu AZV-Tagen sind für die Klärung der hier maßgebenden Streitfrage ohne Belang. Die für den Fall des Zusammentreffens von AZV-Tagen und Tarifurlaub in Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV getroffene Regelung befasst sich nicht mit der Entstehung von AZV-Ansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit. In Ziff. 7 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV ist nur für die Entstehung von Freischichten bei Wechselschicht und Nachtarbeit geregelt, dass Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sowie Kuraufenthalte des Arbeitnehmers, für die Entgeltfortzahlungsansprüche bestehen, nicht entgegenstehen. Eine Vorschrift, wonach AZV-Tage auch zu gewähren sind, wenn keine Arbeitsleistung erbracht wird, fehlt dagegen.
2. Der Anspruch auf Gutschrift der AZV-Tage folgt nicht aus §§ 3, 4 EFZG.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seines der Klage stattgebenden Urteils ausgeführt, der Kläger stünde im Falle der Arbeitsunfähigkeit unzulässigerweise schlechter als bei tatsächlicher Arbeitsleistung. Denn dann hätte er eine Zeitgutschrift und bezahlten Freizeitausgleich erworben. Damit hat das Landesarbeitsgericht die bei der Beklagten praktizierte Arbeitszeitgestaltung nicht hinreichend berücksichtigt. Arbeitet der Kläger, hat er im Jahresdurchschnitt 35 Stunden in der Woche zu arbeiten. Diese Arbeitszeit wird verstetigt vergütet. Bei Arbeitsunfähigkeit erhält der Kläger auf Grund des tarifvertraglich geregelten Referenzprinzips gleichfalls 35 Stunden wöchentlich vergütet (§ 12 MTV). Eine Schlechterstellung des Klägers bei Arbeitsunfähigkeit liegt daher nicht vor. § 4 Abs. 1 EFZG erfordert nicht zwingend die Fortzahlung des am Krankheitstag ausfallenden Arbeitsentgelts. Die Tarifvertragsparteien können gemäß § 4 Abs. 4 EFZG auch eine andere Bemessungsgrundlage festlegen. Von dieser Möglichkeit haben sie in § 12 MTV Gebrauch gemacht.
b) Die bezahlten AZV-Tage führen zu einem Ausgleich der über die tarifvertraglich geregelte Wochenarbeitszeit von 35 Stunden hinaus tatsächlich geleisteten, aber nicht unmittelbar vergüteten Arbeit und damit zu einer Jahresarbeitszeit, die dem Tarifvertrag entspricht. Die Freistellungsansprüche entstehen erst, wenn die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung über 35 Stunden in der Woche liegt. Die Beklagte gewährt die Freistellung nicht im Vorgriff. Die bezahlte Freistellung ist daher keine Form eines Lohnvorschusses. Ein Negativsaldo kann nicht entstehen. Damit ist ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit im Zeitkonto ins “Soll” gerät und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die auf dem Arbeitszeitkonto bestehenden Sollstunden auszugleichen hat. In diesem Falle erhielte der Arbeitnehmer nicht mehr die volle, sondern eine reduzierte Entgeltfortzahlung. Dies wäre mit § 4 Abs. 1 EFZG nicht vereinbar (vgl. Senat 13. Februar 2002 – 5 AZR 470/00 – BAGE 100, 256).
3. Der Anspruch des Klägers auf Gutschrift der AZV-Tage ergibt sich schließlich nicht aus einer betrieblichen Übung. Eine betriebliche Übung entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber durch sein Verhalten lediglich einer seiner Ansicht nach ohnehin bestehenden Verpflichtung nachkommen will (vgl. BAG 22. Januar 2002 – 3 AZR 554/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 77 Ruhestand Nr. 2; 16. Oktober 2002 – 4 AZR 467/01 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22). Der Kläger konnte aus dem Verhalten der Beklagten in der Vergangenheit nicht schließen, sie wolle sich außerhalb der tarifvertraglichen Regelung zur Gewährung bezahlter Freizeit verpflichten. Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat auch nicht auf einen entsprechenden Willen der Beklagten geschlossen. Er ist vielmehr selbst davon ausgegangen, ihm stehe nach dem Tarifvertrag auch bei Fehlzeiten ein Anspruch auf jährlich 30 AZV-Tage zu.
- Der Hilfsantrag ist zulässig. Eine Leistungsklage auf Gewährung einer bestimmten Anzahl von bezahlten Arbeitszeitverkürzungstagen ist auch ohne zeitliche Festlegung zulässig (BAG 20. Juni 2001 – 4 AZR 585/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Systemgastronomie Nr. 1). Der Kläger kann jedoch nicht die mit dem Hilfsantrag begehrte Gewährung von AZV-Tagen verlangen. Wie die Gutschrift setzt auch die Nach-gewährung von AZV-Tagen voraus, dass ein entsprechender Anspruch entstanden ist. Das ist jedoch nicht der Fall.
- Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Sappa, Zorn
Fundstellen
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 16 |
EzA |