Entscheidungsstichwort (Thema)
Überstundenvergütung bei Teilzeit im öffentlichen Dienst. Vergütung für Arbeitsstunden, die ein Teilzeitbeschäftigter über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus leistet (Anschluß an Urteile des Dritten Senats vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 684/93 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, und – 3 AZR 539/93 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Nährmittelindustrie sowie vom 20. Januar 1996 – 3 AZR 275/94 – n.v.)
Leitsatz (amtlich)
Für die Angestellten des öffentlichen Dienstes sind Überstunden Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von grundsätzlich durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgelegten Arbeitsstunden hinausgehen (§ 17 Abs. 1 BAT). Dies gilt auch für teilzeitbeschäftigte Angestellte (§ 34 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BAT). Diese Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, soweit nach ihr teilzeitbeschäftigte Angestellte für zusätzliche Arbeitsstunden, die keine Überstunden sind, nur die anteilige Vergütung eines entsprechenden vollzeitbeschäftigten Angestellten (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BAT), nicht aber die für Überstunden vorgesehenen Zeitzuschläge (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT) verlangen können.
Normenkette
BAT § 35 Abs. 1 S. 2 Buchst. a, § 34 Abs. 1, §§ 15, 17, 26; EGVtr Art. 119 (jetzt Art. 141 EG); EWGRL 117/75; GG Art. 3 Abs. 1, 3, Art. 9 Abs. 3; BeschFG 1985 § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 18.11.1993; Aktenzeichen 7 Sa 85/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 14.01.1993; Aktenzeichen 3 Ca 33879/92) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 18. November 1993 – 7 Sa 85/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung für Arbeit, die die teilzeitbeschäftigte Klägerin über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet hat.
Die Klägerin ist bei dem beklagten Land als Krankenschwester beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.
Die vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 30 Stunden wöchentlich. Die Vergütung richtet sich nach der VergGr. Kr. IV BAT. Die Klägerin hat vom 22. Juli 1991 bis zum 15. August 1991 10,8, vom 11. November 1991 bis zum 5. Januar 1992 54,2 und vom 27. April 1992 bis zum 30. Juni 1992 45,7 Arbeitsstunden über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet, dabei aber die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Angestellten von durchschnittlich 38,5 Stunden nicht überschritten. Für die zusätzlichen Arbeitsstunden hat die Klägerin unter Hinweis auf § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT vergeblich Zeitzuschläge für Überstunden in Höhe von 25 verlangt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie werde als Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten ungleich behandelt, weil sie anders als diese keine Zeitzuschläge erhalte, wenn sie über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeite. Der Zeitzuschlag für Überstunden bezwecke, den Arbeitgeber zur Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit anzuhalten und das Freizeitopfer zusätzlich zu vergüten. Das betreffe Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte gleichermaßen. Dagegen diene der Zuschlag angesichts der auf 38,5 Stunden verkürzten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht mehr dem Ausgleich erhöhter körperlicher Belastungen. Der Gesundheitsschutz werde vielmehr durch die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Arbeitszeit gewährleistet. Auch liege in der unterschiedlichen Behandlung eine mittelbare Frauendiskriminierung, da Teilzeitarbeit Frauenarbeit sei.
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an sie 517,32 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 24. Dezember 1992 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat gemeint, eine Ungleichbehandlung scheide aus, weil Teilzeitbeschäftigte unter denselben Voraussetzungen wie Vollzeitbeschäftigte Zeitzuschläge für Überstunden erhielten, nämlich für Arbeitsstunden, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden hinausgehen. Würden die Zeitzuschläge schon bei Überschreiten der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit gezahlt, führe dies zu einer Benachteiligung der Vollzeitkräfte sowie der Teilzeitkräfte untereinander. Jedenfalls liege ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung vor.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.
I. Die Klägerin hat für die Stunden, die sie über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet hat, keinen Anspruch auf Zeitzuschläge für Überstunden i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT. In dem insoweit eindeutigen und für die Tarifauslegung in erster Linie maßgebenden Tarifwortlaut (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) findet dieser Anspruch keine Stütze.
1. Die Arbeitsstunden, für die die Klägerin Zeitzuschläge verlangt, waren keine Überstunden im Tarifsinne. Unter Überstunden i.S.d. § 17 Abs. 1 BAT sind Arbeitsstunden zu verstehen, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit vollzeitbeschäftigter Angestellter (§ 15 Abs. 1 bis 4 BAT und die entsprechenden Sonderregelungen hierzu) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Die betrieblich festgelegte regelmäßige Arbeitszeit von grundsätzlich durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich hat die Klägerin jedoch nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen nicht überschritten.
2. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 34 Abs. 1 BAT. Nach dieser Bestimmung erhält ein nichtvollbeschäftigter Angestellter, der Arbeitsstunden über die mit ihm vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit hinaus geleistet hat, soweit ein Ausgleich durch Arbeitsbefreiung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BAT) nicht erfolgt ist, für jede zusätzliche Arbeitsstunde den auf eine Stunde entfallenden Anteil der Vergütung eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BAT). Damit sind Zeitzuschläge für über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden nicht vorgesehen. Sie gehören nicht zur Vergütung eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten (vgl. §§ 26, 35 Abs. 1 Satz 1 BAT). Vielmehr bestimmt § 34 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BAT, daß § 17 Abs. 1 BAT unberührt bleibt. Überstunden sind somit auch für Nichtvollbeschäftigte, auf deren Arbeitsverhältnis der BAT anzuwenden ist, nur solche Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 15 Abs. 1 bis 4 BAT und die entsprechenden Sonderregelungen hierzu) für die Woche festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Auch Nichtvollbeschäftigte erhalten nur unter diesen Voraussetzungen nach den tariflichen Bestimmungen Zeitzuschläge für Überstunden. Das entspricht auch der allgemeinen Auffassung im Schrifttum (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Juli 1996, § 34 Rz 29; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Mai 1996, § 34 Erl. 4; Kallenborn-Schmidtke, ZTR 1993, 195, 196; vgl. auch Senatsurteil vom 21. November 1991 – 6 AZR 551/89 – BAGE 69, 85 = AP Nr. 2 zu § 34 BAT).
II. Die Klägerin wird durch die tarifliche Regelung gegenüber männlichen oder vollzeitbeschäftigten Angestellten nicht in einer gegen höherrangiges Recht verstoßenden Weise ungleich behandelt.
1. Die Regelung verstößt dadurch, daß sie bei Vollbeschäftigten wie bei Teilzeitbeschäftigten als Überstunden nur Arbeitsstunden bezeichnet, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Stunden wöchentlich dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen, und nur für diese Stunden Zeitzuschläge vorsieht, nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot für Männer und Frauen (Art. 119 EGV, Richtlinie Nr. 75/117/EWG).
a) Art. 119 Abs. 1 EGV verpflichtet seinem Wortlaut nach zwar nur die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Er ist aber zugleich auch unmittelbar anwendbares nationales Recht und gibt einem Arbeitnehmer bei Verletzung einen unmittelbaren Anspruch gegen seinen Arbeitgeber (vgl. zuletzt EuGH Urteil vom 7. Februar 1991 – Rs C-184/89 – “Nimz” – EuGHE 1991, I-297 = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 20 = AP Nr. 25 zu § 23a BAT; BAGE 73, 166, 170 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe). Das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot hat auch Vorrang gegenüber Tarifverträgen. Dies ergibt sich aus Art. 4 der Richtlinie 75/117/EWG, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, “daß mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbare Bestimmungen in Tarifverträgen … nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können” (EuGH Urteil vom 27. Juni 1990 – Rs C-33/89 – “Kowalska” – EuGHE 1990, I-2591 = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 19 = AP Nr. 21 zu Art. 119 EWG-Vertrag; EuGH Urteil vom 7. Februar 1991, aaO; BAGE 73, 166, 170 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe).
b) Ein Verstoß gegen Art. 119 Abs. 1 EGV entfällt nicht schon deshalb, weil die Tarifregelung ihrem Wortlaut nach die Angestellten nicht wegen ihres Geschlechts unterschiedlich behandelt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfaßt Art. 119 EGV nicht nur die unmittelbare, sondern auch die sog. mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs C-170/84 – “Bilka” – EuGHE 1986, 1607 = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 13 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag, mit Anm. Pfarr; zuletzt Urteil vom 31. Mai 1995 – Rs C-400/93 – “Dansk Industri” – EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 36 = AP Nr. 68 zu Art. 119 EWG-Vertrag). Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Regel zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, die Benachteiligung aber erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts betrifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (EuGH Urteil vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – EuGHE 1989, 2743 = AP Nr. 16 zu Art. 119 EWG-Vertrag; zuletzt Urteil vom 31. Mai 1995 – Rs C-400/93 – aaO).
c) Eine mittelbare Diskriminierung der Klägerin nach diesen Grundsätzen liegt nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung vorliegen, nämlich daß im Geltungsbereich des BAT die Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer einen erheblich größeren Frauenanteil aufweist als die Gruppe der vollzeitbeschäftigten. Die Teilzeitbeschäftigten, zu denen die Klägerin gehört, werden durch die Regelung jedenfalls nicht hinsichtlich des Entgelts gegenüber Vollzeitbeschäftigten ungleich behandelt. Dies entspricht der Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Lohngleichheitsgebots durch den Europäischen Gerichtshof.
Dieser hat im Urteil vom 15. Dezember 1994 (– Rs C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93, C-78/93 – “Helmig u.a.” – EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 35, mit Anm. Siemes = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Teilzeit) die Frage verneint, ob tarifvertragliche Regelungen, welche Mehrarbeitszuschläge nur bei Überschreiten der tarifvertraglich für Vollzeitbeschäftigte festgelegten Regelarbeitszeiten vorsehen, in Widerspruch zu Art. 119 Abs. 1 EGV und Art. 1 der Richtlinie 75/117/EWG stehen. Nach der Auslegung des Art. 119 Abs. 1 EGV durch den Europäischen Gerichtshof fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts. Sie liegt vor, wenn Vollzeitbeschäftigte für die gleiche Stundenzahl eine höhere Gesamtvergütung erhalten als Teilzeitbeschäftigte. In den vom Europäischen Gerichtshof vorabentschiedenen Fällen erhielten Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Zahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Gesamtvergütung wie Vollzeitbeschäftigte. Auch wenn die Teilzeitbeschäftigten die tarifvertraglich festgesetzte Regelarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten überschritten, stand ihnen die gleiche Gesamtvergütung zu wie diesen, da auch sie Anspruch auf Überstundenzuschläge für die die tarifliche Regelarbeitszeit Vollzeitbeschäftigter übersteigenden Stunden hatten (EuGH Urteil vom 15. Dezember 1994, aaO, Rz 26 ff.). Ebenso liegt der Fall hier.
Auch die vorliegende Tarifregelung behandelt Vollzeitkräfte und Teilzeitkräfte in dieser Weise gleich. Unabhängig davon, ob ein Angestellter vollzeitbeschäftigt ist oder in Teilzeit arbeitet, erhält er für die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 15 Abs. 1 bis 4 BAT und die entsprechenden Sonderregelungen hierzu) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden die tarifliche Vergütung nach § 26 BAT. Für den Vollzeitbeschäftigten ergibt sich dies unmittelbar aus dieser Bestimmung. Für den Teilzeitbeschäftigten folgt dies sowohl hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit als auch hinsichtlich der Arbeitsstunden, die er darüber hinaus leistet, aus § 34 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BAT und daraus, daß dort jeweils für die dem teilzeitbeschäftigten Angestellten zeitanteilig zustehende Vergütung auf § 26 BAT verwiesen wird. Leistet der teilzeitbeschäftigte Angestellte Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen, erhält er ebenso wie der vollbeschäftigte Angestellte den Zeitzuschlag nach § 35 Abs. 1 BAT. Dies ergibt sich daraus, daß nach § 34 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BAT § 17 Abs. 1 BAT unberührt bleibt.
Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich der Auslegung des Art. 119 Abs. 1 EGV durch den Europäischen Gerichtshof angeschlossen (Urteile vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 684/93 – AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Chemie, auch zur Veröffentlichung in der Amtliche Sammlung bestimmt, und – 3 AZR 539/93 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Nährmittelindustrie, jeweils zu II 1c der Gründe). Auch der erkennende Senat sieht das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot für Tarifgestaltungen wie die vorliegende durch die genannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs als geklärt an.
2. Die Tarifregelung verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifvertragsparteien gebunden sind (vgl. u.a. BAG Urteile vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 539 und 684/93 – aaO, jeweils zu II 4 der Gründe). Zwar erhalten die vollzeitbeschäftigten und die teilzeitbeschäftigten Angestellten für die gleiche Zahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Vergütung. Die Tarifregelung bewertet jedoch unterschiedlich, daß es sich in beiden Fällen um überobligationsmäßig geleistete Arbeitsstunden handelt. Teilzeitbeschäftigte Angestellte haben anders als vollzeitbeschäftigte Anspruch auf Zeitzuschläge erst, wenn die Zahl der überobligationsmäßig geleisteten Arbeitsstunden ein bestimmtes Maß, nämlich den Unterschied zwischen der von ihnen geschuldeten durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter von 38,5 Stunden übersteigt. Für diese Unterscheidung gibt es aber aufgrund des Leistungszwecks, den die Regelung zulässigerweise verfolgt, einen sachlich einleuchtenden Grund.
a) Die Frage, ob für eine Ungleichbehandlung bei der Gewährung von Leistungen ein sachlicher Grund besteht, ist anhand des Leistungszwecks zu beantworten. Wenn sich aus ihm Gründe herleiten lassen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, dem Teilzeitbeschäftigten die Leistung nicht zu gewähren, die der vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beanspruchen kann, besteht ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung. Dies entspricht einem in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und im Schrifttum anerkannten Grundsatz, den auch der Dritte Senat den genannten Entscheidungen vom 20. Juni 1995 (aaO, jeweils zu II 2a der Gründe m.w.N.) zugrunde gelegt hat, und dem der erkennende Senat folgt. Dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts (aaO) ist auch darin beizupflichten, daß es nicht auf alle denkbaren Zwecke ankommt, die mit der betreffenden Leistung verfolgt werden können, sondern auf die Zwecke, um die es den Tarifvertragsparteien bei der Regelung der Leistungen nach ihrem im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck gekommenen, durch die Tarifautonomie geschützten Willen geht.
b) Die Regelung über die Zeitzuschläge für Überstunden (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT) verfolgt den Zweck, die Angestellten gegen die Belastung durch Arbeitsstunden zu schützen, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Der erkennende Senat hält insoweit an seiner bereits im Urteil vom 21. November 1991 (BAGE 69, 85, 94 = AP Nr. 2 zu § 34 BAT, zu II 4b der Gründe) vertretenen Auffassung fest. Sie wird durch die Auslegung der genannten tariflichen Bestimmung nach ihrem für die Tarifauslegung u.a. maßgebenden Gesamtzusammenhang (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) bestätigt.
Allerdings besteht Streit darüber, welcher Zweck typischerweise mit tariflichen Mehrarbeitszuschlägen verfolgt wird. Teilweise wird der wesentliche oder einzige Zweck solcher Regelungen darin gesehen, die besonderen Belastungen auszugleichen, die Arbeitnehmer hinnehmen, wenn sie über den von den Tarifvertragsparteien vorgegebenen zeitlichen Umfang hinaus tätig werden (so BAGE 69, 85, 94 f. = AP Nr. 2 zu § 34 BAT, zu II 4b der Gründe; auch Arndt, NZA 1989, Beilage 3, S. 8, 10; Lorenz, NZA 1985, 473, 474; Sowka DB 1994, 1873, 1878). Die Vertreter der Gegenauffassung sehen in tarifvertraglichen Mehrarbeitszuschlägen lediglich einen Ausgleich dafür, daß der Arbeitnehmer planwidrig Möglichkeiten einbüßt, über seine Zeit frei zu verfügen (vgl. insbes. Schüren, RdA 1985, 22, 28 f.; RdA 1990, 18 ff.; ZTR 1992, 355 ff.; Däubler, Das Arbeitsrecht, Bd. 2, 10. Aufl., S. 931 f.). Als weiterer Zweck der Verteuerung der Überstundenarbeit wird die arbeitsmarktpolitisch von den Gewerkschaften geforderte Verteilung der Arbeit auf Arbeitslose und die Sicherung von Arbeitsplätzen genannt (vgl. GK-TzA-Lipke, Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rz 143). Auf die Frage, welcher Zweck typischerweise mit einer Tarifregelung verfolgt wird, kann es jedoch nicht ankommen, wenn bei mehreren denkbaren Zwecken der von den Tarifvertragsparteien gewollte Zweck durch Tarifauslegung ermittelt werden kann. Dann ist allein dieser Zweck maßgebend, weil er Inhalt der durch die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) geschützten kollektiven Regelung geworden ist.
§ 17 Abs. 1 BAT stellt bei der Bestimmung des Begriffs der Überstunden, an den die §§ 34 u. 35 BAT die von der Klägerin beanstandeten unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpfen, auf die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche festgesetzten Arbeitsstunden ab. Zweck dieser Regelung ist, die Angestellten vor der Belastung zu schützen, der sie bei Überschreitung dieser Arbeitszeit ausgesetzt sind. Dabei ist es nicht von Bedeutung, daß für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der in § 15 Abs. 1 Satz 2 BAT geregelte Ausgleichszeitraum zugrunde zu legen ist. Ganz gleich wie die für den Überstundenbegriff maßgebende Zahl der für die Woche im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit festgesetzten Arbeitsstunden ist, führt dies bezogen auf die einzelne Woche nicht zu einer Änderung des Regelungszwecks. Unerheblich ist auch, daß der staatliche Gesetzgeber in öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitbestimmungen zum Schutz vor physischer oder psychischer Überlastung andere als die tarifvertraglichen Arbeitszeitgrenzen aufgestellt hat. Die Tarifvertragsparteien sind nicht gehindert, in ihrem Regelungsbereich einen zusätzlichen Ausgleichsanspruch bereits von einer geringeren Arbeitsbelastung an vorzusehen. Deshalb läßt sich der tarifliche Regelungszweck des Belastungsschutzes auch nicht mit dem Hinweis darauf leugnen, die regelmäßige Wochenarbeitszeit sei im BAT zunächst auf 45 Arbeitsstunden festgelegt gewesen und dann im Wege von Tarifverhandlungen ab dem 1. April 1964 auf 44, ab dem 1. Januar 1969 auf 43, ab dem 1. Januar 1971 auf 42, ab dem 1. Oktober 1974 auf 40, ab dem 1. April 1989 auf 39 und schließlich seit dem 1. April 1990 auf 38,5 Arbeitsstunden wöchentlich reduziert worden (§ 15 Abs. 1 BAT). Durch diese Änderungen ist der Zweck des Belastungsschutzes nicht entfallen und etwa durch den Zweck des Dispositionsschutzes ersetzt worden. Aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang ergibt sich, daß nach wie vor durch die Regelung über die Überstundenvergütung im BAT der Angestellte vor übermäßiger Belastung geschützt werden soll. Im einzelnen gilt folgendes:
§ 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT setzt für die Entstehung des Anspruchs auf Zeitzuschläge voraus, daß Überstunden i.S.d. § 17 Abs. 1 BAT geleistet wurden. Daß damit ein Ausgleich für die in der zusätzlichen Arbeitsleistung liegende Belastung gewährt werden soll, ergibt sich bei einer Gesamtbetrachtung der Regelungen über die Überstunden i.S.d. § 17 BAT und über die Arbeitsstunden, die über die vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit des Teilzeitbeschäftigten hinaus geleistet werden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BAT). § 17 Abs. 1 BAT stellt für die Zulässigkeit von Überstunden nicht nur auf die Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit des vollzeitbeschäftigten Angestellten ab. In Unterabs. 2 beschränkt er vielmehr zusätzlich die Überstunden auf dringende Fälle, ordnet deren möglichst gleichmäßige Verteilung auf die Angestellten an und bestimmt, daß Überstunden, soweit ihre Notwendigkeit voraussehbar ist, spätestens am Vortag anzusagen sind. Diese drei Einschränkungen sind in § 34 BAT für die Arbeitsstunden, die der teilzeitbeschäftigte Angestellte über die mit ihm vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit hinaus leistet, nicht vorgesehen. Sie dienen somit dem Belastungsschutz. Hätten die Tarifvertragsparteien damit auch ausgleichen wollen, daß der Angestellte planwidrig Möglichkeiten einbüßt, über seine Freizeit zu verfügen, hätten sie diese Einschränkungen konsequenterweise auch den Teilzeitbeschäftigten zugestanden. In diese Richtung weist auch, daß Überstunden, soweit sie nicht nur gelegentlich und an mehr als sechs Arbeitstagen innerhalb eines Kalendermonats vorkommen, im Gegensatz zu den zusätzlichen Arbeitsstunden i.S.d. § 34 Abs. 1 BAT vorher schriftlich anzuordnen sind (§ 17 Abs. 4 BAT). Einen besonders eindeutigen Hinweis auf den Zweck des Belastungsschutzes enthält schließlich § 17 Abs. 5 BAT, wonach Überstunden grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen sind. Demgegenüber können die Arbeitsstunden, die der teilzeitbeschäftigte Angestellte über die mit ihm vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus leistet, entweder durch Freizeit ausgeglichen oder bezahlt werden (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BAT). Einen Vorrang des Freizeitausgleichs sieht der Tarifvertrag anders als bei der Überschreitung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit Vollzeitbeschäftigter nicht vor. Damit ist der Belastungsschutz als Zweck der unterschiedlichen Regelung der Überstundenvergütung für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte in der Tarifregelung deutlich zum Ausdruck gekommen. Er bildet einen sachlich einleuchtenden Grund für die getroffene Unterscheidung.
Der erkennende Senat folgt damit der Rechtsprechung des Dritten Senats des BAG, der in den genannten Urteilen vom 20. Juni 1995 (aaO) sowie in einem weiteren Urteil vom 30. Januar 1996 (– 3 AZR 275/94 – nicht veröffentlicht) bei der Beurteilung vergleichbarer Tarifregelungen aus dem Bereich der Privatwirtschaft ebenso entschieden und dabei u.a. auf das erwähnte Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 1991 (BAGE 69, 85, 95 f. = AP Nr. 2 zu § 34 BAT) verwiesen hat. Soweit der erkennende Senat dort allerdings in Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Auffassung von Schüren (RdA 1985, 22, 28 f.) weiter angenommen hat, daß auch die in der überobligationsmäßigen Arbeitsleistung liegende Einschränkung der Möglichkeit, über die verbliebene Freizeit zu disponieren, den Vollzeitbeschäftigten in höherem Maße treffe als den Teilzeitbeschäftigten, bedarf es nach dem vorstehenden Ergebnis der Tarifauslegung dieser Erwägung hier nicht. Ob an ihr bei Beurteilung einer Regelung festzuhalten wäre, deren Auslegung ergibt, daß die Beeinträchtigung der nach Beendigung der geschuldeten Arbeitszeit verbliebenen Freizeit ausgeglichen werden soll, kann dahinstehen.
3. Die Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT widerspricht nicht dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG.
a) Die Tarifvertragsparteien haben das besondere Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG zu beachten, weil es, wie Art. 3 Abs. 1 GG Teil der objektiven Wertordnung ist, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (BAG Urteile vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 539 und 684/93 –, aaO, jeweils zu II 3a der Gründe). Art. 3 Abs. 3 GG verbietet ebenso wie Art. 119 Abs. 1 EGV nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts. Dabei entsprechen die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 GG grundsätzlich denen, die der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf Art. 119 EG-Vertrag aufgestellt hat (BAGE 38, 232, 244 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu III 2c der Gründe; BAGE 73, 166, 176 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 4b der Gründe; BAG Urteile vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 539 und 684/93 –, aaO, jeweils zu II 3b bb der Gründe). Eine Regelung kann zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden sein. Treffen ihre nachteiligen Folgen aber erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts, dann ist eine solche Regelung geschlechtsdiskriminierend und deshalb nichtig, wenn sie nicht durch gewichtige objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben.
b) Es kann auch hier dahinstehen, ob die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, die unter den Geltungsbereich des BAT fallen, erheblich mehr Frauen enthält als die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten. Weiter kann dahinstehen, ob die unterschiedliche Bezahlung von Arbeitsstunden, die über das einzelvertraglich geschuldete Maß hinaus geleistet werden, eine Ungleichbehandlung i.S. von Art. 3 Abs. 3 GG ist, oder ob auch hier für den Lohngleichheitssatz der Rahmen gilt, den der Europäische Gerichtshof für Art. 119 Abs. 1 EGV gesteckt hat. Eine etwaige Ungleichbehandlung ist jedenfalls nicht geschlechtsdiskriminierend. Mit ihr wird ein hinreichend gewichtiger sachlicher, nicht auf die Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer bezogener Zweck verfolgt.
Ein objektiver, die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund liegt insbesondere dann vor, wenn eine “Gleichbehandlung”, also die Gewährung der Vergünstigung auch an die Teilzeitbeschäftigten, zu einer Veränderung des Leistungszwecks, d.h. der Art der Leistung, führen würde (BAGE 73, 166, 173 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1c bb der Gründe). So verhält es sich hier. Würde Teilzeitbeschäftigten nicht nur für jede Arbeitsstunde, die sie wöchentlich über die tarifliche Arbeitszeit hinaus erbracht haben, ein Mehrarbeitszuschlag gezahlt, sondern schon dann, wenn sie unterhalb dieser Grenze bleiben, aber mehr leisten als das, wozu sie sich arbeitsvertraglich verpflichtet haben, dann würde der von den Tarifvertragsparteien zulässigerweise angestrebte Zweck des Mehrarbeitszuschlages verfehlt. Die Arbeitnehmer erhielten die zusätzliche Vergütung nicht mehr für eine besondere wöchentliche Arbeitsleistung, sondern allein dafür, daß sie ein planwidriges, über das vertraglich Vereinbarte hinausgehendes Freizeitopfer erbracht haben. Hierfür haben die Tarifvertragsparteien, wie dargelegt, kein zusätzliches Arbeitsentgelt vereinbart. Dazu waren sie auch nicht verpflichtet.
4. Gegen das Verbot des § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 verstößt die tarifliche Regelung bereits deshalb nicht, weil durch sie die Teilzeitbeschäftigten, wie dargelegt (vgl. oben 2b), nicht ohne sachlichen Grund gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt werden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Lenßen, Kapitza
Fundstellen
Haufe-Index 884829 |
BAGE, 327 |
PersR 1997, 224 |
PflR 1997, 140 |