Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist. Vergesslichkeit und psychische Erkrankung als Wiedereinsetzungsgrund
Leitsatz (amtlich)
1. Auch eine Wiedereinsetzung in die (versäumte) Wiedereinsetzungsfrist ist möglich.
2. Die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist erfordert einen entsprechenden Antrag.
3. Eine allgemeine Vergesslichkeit und seit langem vorliegende psychische Probleme können keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.
Normenkette
JVEG § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1, 3, 7, § 4 Abs. 6 S. 1; SGB X § 37 Abs. 2 S. 1
Tenor
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Geltendmachung der Entschädigung für das Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 4. August 2015 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Antragstellerin für die Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an einem Gerichtstermin Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.
Im Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit dem Aktenzeichen L 3 U 442/12 nahm die dortige Klägerin und jetzige Antragstellerin nach Anordnung des persönlichen Erscheinens an der mündlichen Verhandlung am 04.08.2015 teil.
Mit Antrag vom 13.11.2015, eingegangen beim LSG am 17.11.2015, begehrte sie die Erstattung der ihr wegen des Gerichtstermins am 04.08.2015 entstandenen Kosten.
Die Kostenbeamtin des LSG lehnte mit Schreiben vom 19.02.2016 eine Entschädigung mit der Begründung ab, dass der Entschädigungsanspruch wegen Fristversäumnis (Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß § 2 Abs. 1 JVEG) erloschen sei.
Mit Schreiben vom 11.03.2016, eingegangen beim LSG am 15.03.2016, hat sich die Antragstellerin für die nicht fristgerechte Abgabe des Entschädigungsantrags entschuldigt und als Grund für die Verspätung psychische Probleme, wegen derer sie seit Jahren behandelt werde, und eine Vergesslichkeit angegeben. Zudem hat sie vorgetragen, dass sie das gerichtliche Schreiben vom 19.02.2016 erst jetzt beantworten habe können, da sie vom 17.02.2016 bis zum 09.03.2016 stationär im Krankenhaus behandelt worden sei. Sie bitte, die Angelegenheit nochmals zu überdenken und ihr die Fahrtkosten zu ersetzen.
II.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der Entschädigung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 04.08.2015, über den nicht der Kostenbeamte, sondern gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG "das Gericht", hier also der Kostensenat des LSG, zu entscheiden hat, ist abzulehnen. Denn die Antragstellerin hat einen Wiedereinsetzungsgrund für die Beantragung der Entschädigung wegen der Teilnahme am Gerichtstermin nicht glaubhaft gemacht.
Die Geltendmachung der Entschädigung durch die Antragstellerin ist verfristet (s. unten Ziff. 1.), die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor (s. unten Ziff. 2.).
1. Entschädigungsantrag zu spät gestellt
Der Entschädigungsanspruch wegen des Gerichtstermins am 04.08.2015 war bereits erloschen, als die Entschädigungsforderung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 04.08.2015 beim LSG geltend gemacht wurde.
Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt im Fall des vom Gericht angeordneten persönlichen Erscheinens eines Beteiligten an einem vom Gericht angeordneten Termin entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG mit der Beendigung dieses Termins zu laufen.
Vorliegend hat der Gerichtstermin, für den eine Entschädigung begehrt wird, am 04.08.2015 stattgefunden. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Entschädigungsanspruchs ist dementsprechend am 04.11.2015 (Mittwoch) abgelaufen.
Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Entschädigungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m.w.N.).
Ein Eingang des Entschädigungsantrags ist erst am 17.11.2015 und damit nach Fristablauf erfolgt.
2. Wiedereinsetzung
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert daran, dass die Antragstellerin keinen Wiedereinsetzungsgrund für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs glaubhaft gemacht hat.
2.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen
Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn
- er innerhalb der Zweiwochenfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),
* einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,
* einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebe...