Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsgeld. Verhängung gegen einen Sachverständigen wegen Nichterstattung des Gutachtens. Unterbleiben der Ordnungsgeldfestsetzung. Pflicht des Sachverständigen zur Gutachtenvorlage in einer angemessenen Frist. Unterrichtungspflicht bei Auftreten von unvorhersehbaren Umständen. Vorlage des Gutachtens nach Ordnungsgeldbeschluss. Ordnungsgeldhöhe
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 2 S 1 ZPO (in der Fassung durch das Änderungsgesetz vom 11.10.2016 (juris: SachvRuaÄndG) = BGBl I S 2222) soll gegen einen Sachverständigen nach Fristsetzung und fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist ein zuvor angedrohtes Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen ist.
2. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes kann nur dann unterbleiben, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Sachverständigen an der Verspätung kein Verschulden trifft.
3. Ein Sachverständiger, der mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden ist, hat von sich aus alle Schritte zu unternehmen, die zur Erledigung des Gutachtensauftrages erforderlich sind. Er hat dies auch grundsätzlich in einer angemessenen Frist zu tun, nicht erst auf Erinnerung und Fristsetzung durch das Gericht.
4. Treten unvorhersehbare Umstände ein, die es dem Sachverständigen erschweren oder unmöglich machen, das Gutachten rechtzeitig bzw zeitgerecht zu erstellen, so hat er das Gericht unverzüglich zu unterrichten. Insbesondere hat der Sachverständige gemäß § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 407a Abs 1 ZPO unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann, und wenn das nicht der Fall ist, das Gericht unverzüglich zu verständigen.
5. Die Verhängung von Ordnungsgeld wird auch durch Vorlage des Gutachtens nicht obsolet. Nach Wortlaut und Sinn dient die Verhängung von Ordnungsgeld nicht allein der Durchsetzung der Verpflichtung zur Erstellung eines Gutachtens, sondern auch dessen zeitgerechter Erstellung.
6. Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich seit dem o g Änderungsgesetz vom 11.10.2016 nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 2 S 4 ZPO. Danach ist die Höhe des Ordnungsgeldes nach Ermessen zu bestimmen und darf das einzelne Ordnungsgeld 3.000,- EUR nicht übersteigen.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 28.04.2021 - S 44 KR 431/18 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Verhängung von Ordnungsgeld gegen den ärztlichen Sachverständigen und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) wegen verspäteter Erstellung eines Gutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Verfahren der B (Klägerin) gegen die Techniker Krankenkasse (Beklagte) wegen medizinischer Hilfsmittelversorgung vor dem Sozialgericht München (SG) unter dem Az. S 44 KR 431/18.
Mit Beweisanordnung vom 19.02.2019 wurde der Bf. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens wegen der Versorgung der Klägerin mit dem Hilfsmittel "Innowalk" beauftragt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 19.02.2019 wurden dem Bf. die Akten übersandt. Zugleich wurde ihm eine Frist zur Erstellung des Gutachtens innerhalb drei Monaten nach Zugang des Auftrags gesetzt. Das Schreiben vom 19.02.2019 enthielt folgenden Hinweis: "Sofern es Ihnen voraussichtlich nicht möglich ist, diesen Zeitrahmen einzuhalten, teilen Sie dies bitte unverzüglich unter Angabe der Gründe und der bis zur Übersendung des Gutachtens benötigten Zeit mit." Die Zustellung des Gutachtensauftrags vom 19.02.2019 nebst Anlagen erfolgte gemäß Empfangsbekenntnis am 26.02.2019.
Auf Nachfrage des SG vom 29.05.2019 ("Erinnerung"), bis wann mit der Erstattung des Gutachtens zu rechnen sei bzw. welche Gründe der Fertigstellung entgegenstünden, teilte der Bf. mit Schreiben vom 12.06.2019 mit, dass aufgrund eines erhöhten Arbeitsaufkommens in der Abteilung eine Erledigung nicht vor dem 31.07.2019 möglich sei.
Mit Schreiben vom 10.09.2019 ("2. Erinnerung") teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten noch nicht erstattet worden sei und setzte dem Bf. eine Frist für die Übersendung des Gutachtens bis spätestens 18.10.2019. Die Zustellung des Schreibens vom 10.09.2019 erfolgte gemäß Postzustellungsurkunde (PZU) am 11.09.2019 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Schreiben vom 25.10.2019 ("3. Erinnerung") teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten trotz zweifacher Mahnung noch immer nicht erstattet worden sei und setzte dem Bf. eine Nachfrist zur Erstellung des Gutachtens bis spätestens 28.11.2019. Für den Fall, dass bis zur Nachfrist (Eingang bei Gericht) das Gutachten der Geschäftsstelle nicht vorliege, drohte das SG dem Bf. an, dass ein Ordnungsgeld i.H.v. 500,- Euro ...