Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige. alleiniger Aufenthaltszweck der Arbeitsuche. Unionsbürger. Diskriminierungsverbot. kein Vorlagebeschluss gem Art 234 EG im einstweiligen Rechtsschutz. kein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Prüfung von Rechtsakten der europäischen Einrichtungen und Organe durch BVerfG. kein Anspruch aus EuFürsAbk. Europarechtskonformität
Leitsatz (amtlich)
Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, bei einem Aufenthaltsrecht, das sich allein aus der Arbeitsuche ableitet, keine abschließende Klärung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Orientierungssatz
1. Bürger aus EU-Mitgliedstaaten, deren Aufenthaltsrecht allein aus dem Zwecke der Arbeitsuche folgt, haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2.
2. Bei den Leistungen nach SGB 2 handelt es sich europarechtlich um beitragsunabhängige Sonderleistungen iS von Art 10a EWGV 1408/71.
3. Der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 vorgenommene Anspruchsausschluss kann nicht mit dem Hinweis auf Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 gerechtfertigt werden. Daher liegt ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungs- und Diskriminierungsverbot aus Art 12 EG nahe.
4. Zur endgültigen Klärung der Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 eine gerechtfertigte Diskriminierung von Unionsbürgern darstellt, ist ein Vorlagebeschluss an den EuGH nach Art 234 EG erforderlich. Dieser hat nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erfolgen.
5. Weder aus Art 18 EG noch aus Art 12 EG ergibt sich ein unmittelbarer Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen.
6. Die Prüfung, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder diese überschreiten ist dem BVerfG vorbehalten (vgl BVerfG vom 12.10.1993 - 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92 = BVerfGE 89, 155) und gegebenenfalls durch einen Vorlagebeschluss in der Hauptsache zu klären.
7. Es besteht kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB 2 aus dem EuFürsAbk. Dieses Abkommen ist auf das SGB 2 nicht anwendbar.
8. Der Senat hat erhebliche Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.02.2009 dahin abgeändert, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes darlehensweise und vorläufig vom 20.01.2009 bis zum 30.06.2009 in Höhe von 524 Euro zu zahlen sind.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdegegners im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.
Der 1951 geborene Beschwerdegegner (Bg.) ist italienischer Staatsangehöriger. Er reiste im Dezember 2007 aus Italien nach Deutschland, um Arbeit zu suchen. Von 2001 bis 2007 arbeitete er in Costa Rica. Am 12.02.2008 meldete der Bg. seinen Wohnsitz in der Landeshauptstadt A-Stadt an.
Im Mai 2008 arbeitete er in einem Restaurant für monatlich netto 478,42 EUR.
Nachdem er diesen Arbeitsplatz verlor, stellte der Bg. erstmals einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II am 05.06.2008 bei der Beschwerdeführerin (Bf.). Mit Bescheid vom 25.06.2008 lehnte die Bf. den Antrag des Bg. ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2008 zurückgewiesen, da dem Bg. wegen des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keine Leistungen zustehen würden. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, hätten keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Rechtsgrundlage für den Aufenthalt des Bg. sei § 2 Abs. 2 Nr.1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU). Der Bg. habe persönlich mitgeteilt, dass er sich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid erhob der Bg. Klage zum Sozialgericht München.
Zwischenzeitlich arbeitete der Bg. als geringfügig Beschäftigter vom 01.10.2008 bis zum 15.10.2008 für insgesamt 130 EUR, anschließend war er arbeitslos.
Am 20.01.2009 stellte der Bg. durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem Ziel, die Bf. zu verpflichten, ihm Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 524,20 EUR auszuzahlen.
Der Bg. wohne in einer Gemeinschaftsunterkunft. Die monatliche Miete für sein Zimmer betrage 175,00 EUR zuzüglich 3,10 EUR für die Nutzung eines Kühlfaches und 1,10 EUR für die Nutzung eines Küchenfaches. Der Bevollmächtigte des Bg. machte geltend, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform auszulegen sei. Unter Anwendung von Art. 39 und Art. 12 EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 07.02.1992) seien die Leistungen ...