Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Erfolgsaussicht. Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen Sanktionsbescheid. Umdeutung. Meistbegünstigung

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht wegen Unzulässigkeit die Erfolgsaussicht abzusprechen, wenn sich aus der Begründung und dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass das Antragsziel allein mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erreicht werden kann. In diesem Fall hat im Sinn der Meistbegünstigung eine Umdeutung zu erfolgen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 2. Dezember 2008 abgeändert und Prozesskostenhilfe ab 27.10.2008 bewilligt.

 

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 25.09.2008 bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) der Antragstellerin (ASt) für die Zeit vom 01.10.2008 bis 31.12.2008 Arbeitsgeld II in Höhe von 361,90 EUR. Mit weiteren Bescheiden vom selben Tag kürzte sie diese Leistung und ließ sie für den gesamten Zeitraum wegen Pflichtverletzung entfallen. Gegen die letztgenannten Bescheide vom 25.09.2008 legte die ASt am 28.09.2008 Widerspruch ein.

Am 27.10.2008 hat der Klägerbevollmächtigte der ASt beantragt, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Regelleistungen nebst Unterkunftskosten für den Zeitraum vom 01.10.2008 bis 31.12.2008 zu gewähren. Gleichzeitig hat er Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und eine ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.

Das Sozialgericht hat dem Bevollmächtigten bedeutet, dass dem Antrag wegen Nichtbeachtung der Subsidiarität (§ 86b Abs 2 Satz 1 SGG) keine Erfolgsaussicht zugemessen werde.

Im Erörterungstermin am 02.12.2008 hat das Sozialgericht der ASt PKH ab 02.12.2008 bewilligt und Rechtsanwalt S. beigeordnet.

Dieser hat beantragt, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.09.2008 anzuordnen und die Vollzugsfolgen rückgängig zu machen, was die Ag anerkannt hat. Daraufhin hat die Ast " die Widersprüche vom 27.09.2008" für erledigt erklärt.

Mit weiterem Beschluss vom 31.03.2009 hat das Sozialgericht den Antrag, der Ag mehr als die Hälfte der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen, abgewiesen.

Am 21.04.2009 hat die ASt gegen den Beschluss vom 02.12.2008 Beschwerde eingelegt und beantragt, PKH bereits ab Antrag zu bewilligen. Die Parteianträge seien regelmäßig sachdienlich auszulegen.

Gleichzeitig ist gegen die Kostenfestsetzung des Kostenbeamten Erinnerung eingelegt worden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.

Da der im Erörterungstermin verkündete Beschluss über die PKH-Bewilligung ab 02.12.2008 keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, ist die am 21.04.2009 eingelegte Beschwerde trotz Ablaufs der Einmonatsfrist des § 173 Satz 1 SGG fristgerecht. Mangels aktenkundiger Belehrung (§ 173 Satz 3 SGG) läuft die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Gewährung von PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts S. mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ab Antragstellung am 27.10.2008 abgelehnt.

Hinreichende Erfolgsaussicht i.S. des § 73a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO besteht, wenn das Gericht den Standpunkt des ASt aufgrund dessen Angaben und der von ihm vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält. Dem Sozialgericht ist darin zuzustimmen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf § 86b Abs 2 Satz 1 SGG keine Aussicht auf Erfolg hatte, weil diese Form des einstweiligen Rechtsschutzes nur im Bereich begünstigender Verwaltungsakte zulässig ist und in der Hauptsache Sanktionsbescheide Streitgegenstand waren.

Der am 27.10.2008 gestellte Antrag ist jedoch nicht auf seinen Wortlaut zu beschränken. Prozesshandlungen wie Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz machen oft eine Auslegung notwendig. Diese muss sich danach richten, was der ASt bei vernünftiger Beratung beantragt hätte, wenn keine Gründe für anderes Verhalten vorliegen (BSGE 74, 77). Art 19 Abs 4 Grundgesetz gebietet eine sinnvolle Auslegung des vom ASt Gewollten und verbietet es, einen Rechtsbehelf nur deswegen als unzulässig zu behandeln, weil er unzulänglich formuliert ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, Vor § 60 Rz 11a). Das gilt auch für einen Antrag nach § 86b SGG (Keller aaO § 86b Rz 9b).

Vorliegend war dem Antrag eine Begründung nebst Anlagen beigefügt, die eine Auslegung im Sinn der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 27.09.2008 nahelegte. Nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung war geeignet, das klar erkennbare Ziel, nämlich die Außerkraftsetzung der Sanktionen, zu erreichen. Dass der Bevollmächtigte den entsprechenden Hinweis des Gerichts missverstanden hat, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht, das wirkliche Begehren zu e...

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