Entscheidungsstichwort (Thema)

Für das Kostengericht bindende Festlegungen des Hauptsachegerichts. Sozialgerichtliches Verfahren: Entschädigung für das Erscheinen bei Gericht bei Fehlen einer Anordnung oder der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens. Bindungswirkung der Festlegung des Hauptsachegerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fehlen sowohl eine Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch die Gebotenheit des persönlichen Erscheinens, kommt eine Entschädigung für das Erscheinen bei Gericht nicht in Betracht.

2. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens ist für das Kostenverfahren grundsätzlich bindend.

3. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens hat keines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Vielmehr konnte die Ablehnung der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens in Form einer prozessleitenden Verfügung erfolgen.

 

Normenkette

JVEG § 4 Abs. 1; SGG §§ 183, 191

 

Tenor

Der Antragstellerin steht keine Entschädigung für das Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 11.11.2014 zu.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen einer mündlichen Verhandlung, bei der sie erschienen ist, ohne dass ihr persönliches Erscheinen angeordnet gewesen wäre.

In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 5 KR 316/12 geführten Rechtsstreit der Antragstellerin wurde auf den 11.11.2014 eine mündliche Verhandlung terminiert. Das persönliche Erscheinen der Antragstellerin wurde nicht angeordnet; ihre anwaltlichen Bevollmächtigten wurden über den Gerichtstermin mit gerichtlichem Schreiben vom 14.10.2014 informiert.

An der mündlichen Verhandlung am 11.11.2014 nahm die Antragstellerin teil. Das persönliche Erscheinen wurde auch im Termin nicht angeordnet.

Am 11.11.2014 beantragte die Antragstellerin zu Protokoll des LSG die Erstattung ihrer Reisekosten wegen des Gerichtstermins am 11.11.2014. Die Gerichtsverhandlung - so die Antragstellerin - habe ergeben, dass ihre Präsenz vonnöten gewesen sei. Die Reisekosten würden eigentlich ihre Verhältnisse übersteigen.

Der Vorsitzende des 5. Senats wies auf Nachfrage des Kostenbeamten darauf hin, dass das persönliche Erscheinen der Antragstellerin nicht angeordnet gewesen sei und auch kein Grund bestehe, das persönliche Erscheinen nachträglich anzuordnen (Aktenvermerk vom 09.03.2015).

Der Kostenbeamte des LSG lehnte mit Schreiben vom 10.03.2015 eine Entschädigung ab, da das persönliche Erscheinen nicht angeordnet und auch nicht vom Gericht nachträglich für geboten erachtet worden sei.

Mit Schreiben vom 08.09.2015 hat sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der Entschädigung gewandt und die gerichtliche Entscheidung beantragt. Sie halte es für ein Grundrecht, als Naturalpartei bei der mündlichen Verhandlung anwesend zu sein.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier die Berechtigte mit Schreiben vom 08.09.2015 die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung beantragt.

Für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 11.11.2014 steht der Antragstellerin keine Entschädigung zu, weil weder ihr persönliches Erscheinen angeordnet worden ist noch das Gericht der Hauptsache ihr Erscheinen für geboten gehalten hat.

1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).

2. Grundvoraussetzung einer Entschädigung: Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens

2.1. Allgemeines

Beteiligte eines gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahrens im Sinn des § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind gemäß § 191 SGG wie Zeugen, d.h. nach den Vorschriften des JVEG, zu entschädigen, wenn ihr persönliches Erscheinen angeordnet worden ist. Ist das persönliche Erscheinen nicht ange...

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