Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz für eine Klage auf Grundsicherung für Arbeitslose bei unklarer Vermögenslage und fraglichen Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft
Orientierungssatz
1. In der Regel ist es gerechtfertigt, um einer Vorwegnahme der Hauptsache vorzubeugen, einen Abschlag von der im Hauptsacheverfahren zu beanspruchenden Leistung vorzunehmen, wobei sich der Abschlag in einem Bereich von bis zu 30 vH - entsprechend der Sanktionsmöglichkeiten - bewegen kann (vgl. LSG München, 8. April 2007, ) und Leistungen sollen regelmäßig auf das Unerlässliche beschränkt werden.
2. Die Höhe eines derartigen Abschlages ist nicht schematisch zu ermitteln, sondern in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls und den Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren auszugestalten.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 3 Nr. 3c Fassung: 2006-07-20, §§ 7a, 9 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2, § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 117 Abs. 2 S. 1
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziffer I. des Beschlusses des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.07.2012 abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 06.07.2012 bis 31.10.2012, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 617 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 2/3 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller (ASt) bewohnt eine 98 qm große Eigentumswohnung in A-Stadt, die zum 01.05.2010 noch mit einem Darlehen iHv 51.000,16 € belastet gewesen ist. Nach der Auskunft der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses des Landkreises B-Stadt vom 09.02.2012 seien für Wohnungen im Umfeld des Eigentumswohnung des ASt bei Verkäufen zwischen 2004 und 2009 qm-Preise zwischen 445 € und 1.103 € erzielt worden. Auf Anfrage des Antragsgegner (Ag) teilte die Firma H. Immobilien unter dem 12.07.2012 mit, nach der derzeitigen Marktsituation sei eine Verwertbarkeit der Eigentumswohnung nach den Erfahrungen aus zwölf Verkäufen der letzten zwei Jahre in diesem Bereich innerhalb von drei Monaten ab Auftragsbeginn realistisch. Es seien je nach Ausstattung Kaufpreise zwischen 800 € und 1.200 € pro qm Wohnfläche erzielt worden.
In der Zeit vom 14.04.2005 bis 30.04.2012 bewilligte der Ag dem ASt Alg II. Zuletzt wurden dem ASt Leistungen iHv 692 € (374 € Regelleistung und 318 € Kosten der Unterkunft und Heizung) bewilligt (Bescheid vom 26.11.2011).
Im Hinblick auf Anrufe des ASt vom Anschluss einer Frau R. H. (H), wohnhaft in der H-Straße. 24, T., aus im Januar 2006 stellte der Ag Ermittlungen an, ob der ASt mit H in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammen lebe. Auf Nachfrage erklärte der ASt, es handele sich bei H lediglich um eine Bekannte, bei der er sich ab und zu aufhalte, um im Internet nach Stellen zu suchen. In einer Bewerbung vom 15.10.2006 sprach der ASt von einer "Lebensgefährtin" im Raum W.. Feststellungen des Außendienstes ergaben, dass der ASt bei 13 Besuchen im Zeitraum vom 27.10.2006 bis 27.12.2006 nur einmal im Bereich seiner Wohnung gesehen worden sei. Nach der Bestätigung einer Mitarbeiterin des S., bei der der ASt eine Arbeitsgelegenheit verrichtete, dass der interne Fahrdienst den ASt werktäglich morgens in A-Stadt abhole und ihn abends wieder dorthin zurückbringe, stellte der Ag weitere Ermittlungen ein und bewilligte weiterhin Alg II.
Am 22.01.2009 ging beim Ag eine anonyme Anzeige. Der Antragsteller halte sich seit Jahren bei seiner "Freundin R." auf, die selbständig sei und über ein "größeres" Erbe verfüge. Die Wohnung in A-Stadt besuche er nur, um den Briefkasten zu leeren. Nachdem am 17.11.2011 ein Nachbar des ASt dem Ag mitteilte, der ASt lebe in A-Stadt in einer eheähnlicher Gemeinschaft und die Partnerin verfüge über ein Haus und mehrere Pkw, leitete der Ag erneut Ermittlungen ein. Nach dem Bericht des Außendienstes sei diesem bei fünf Besuchen im Zeitraum vom 25.11.2011 bis 13.01.2012 nicht geöffnet worden. Beim letzten Besuch habe man Stimmen und einen Hund in der Wohnung gehört. Stets sei das Fahrzeug der H vor der Tür gestanden.
Eine darauf erfolgte vorläufige Einstellung der Leistungsgewährung ab Februar 2012 nahm der Ag im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG) wieder zurück (Az: S 17 AS 118/12 ER).
Einen Fortzahlungsantrag ab 01.05.2012 lehnte der Ag mit Bescheid vom 20.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2012 ab. Die Immobilie übersteige mit 98 qm die Angemessenheitsgrenze und sei als Vermögenswert unabhängig von der Dauer der Verwertung bereits ab dem möglichen Anspruchsbeginn am 01.05.2012 zu berücksichtigen. Der Grundfreibetrag...