Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Verstoß gegen eine Meldeaufforderung. Anforderung an die Annahme der Vorwerfbarkeit eines Meldeversäumnisses
Leitsatz (amtlich)
Für die subjektive Vorwerfbarkeit eines Meldeversäumnisses nach § 32 SGB II ist erforderlich, dass der Betroffene der Meldeaufforderung ohne wichtigen Grund schuldhaft nicht nachgekommen ist. Schuldhaftigkeit besteht auch bei einfacher Fahrlässigkeit, z.B. wenn der Betroffene den Meldetermin schlicht vergessen hat.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts München vom 1. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil, in dem das Sozialgericht eine Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses bestätigte.
Der 1967 geborene Kläger bezog Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 23.05.2014 bzw. Änderungsbescheid vom 11.07.2014 wurde ihm für die Zeit von Juni bis Dezember 2014 Arbeitslosengeld II bewilligt.
Auf die mit zutreffender Rechtsfolgenbelehrung versehenen Meldeaufforderung zum Termin am 11.02.2014 erschien der Kläger nicht. Bei der Anhörung zur Sanktion teilte er mit, dass er den Termin vergessen habe. Mit Bescheid vom 23.05.2014, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2015, wurde das Arbeitslosengeld II wegen des Meldeversäumnisses gemäß § 32 SGB II für die Monate Juni, Juli und August 2014 um 10 % des Regelbedarfs (jeweils 39,10 Euro) gemindert.
Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage wies das Sozialgericht München mit Urteil vom 01.10.2015 ab. Die Sanktion entspreche dem Gesetz. Der Kläger sei trotz vorheriger schriftlicher Rechtsfolgenbelehrung nicht zu einem zulässigen Meldetermin erschienen. Ein wichtiger Grund für dieses Meldeversäumnis sei nicht nachgewiesen worden. Den erst im Klageverfahren behaupteten Termin im Krankenhaus habe der Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung nicht nachgewiesen. Das fahrlässige Nichtwahrnehmen des Termins sei für die subjektive Vorwerfbarkeit ausreichend. Die Sanktion sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Berufung wurde ausdrücklich nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem Kläger am 16.10.2015 zugestellt.
Am 02.11.2015 hat der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt. Eine Verkürzung des Existenzminimums sei nicht mehr erlaubt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist auch nach § 144 Abs. 1 SGG statthaft, weil der Beschwerdewert von 117,30 Euro (drei mal 39,10 Euro) den Grenzwert von 750,- Euro nicht überschreitet. Die Beschwerde ist aber sachlich nicht begründet, weil es keinen Grund gibt, die Berufung zuzulassen.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Das Sozialgericht ist nicht von einer obergerichtlichen Entscheidung abgewichen.
Im Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 19/14 R, Rn. 26, wurden die wesentlichen Voraussetzungen von Sanktionen wegen Meldeversäumnissen dargelegt. Als subjektive Vorwerfbarkeit genügt danach, dass der Betroffene der Meldeaufforderung ohne wichtigen Grund schuldhaft nicht nachgekommen ist. "Schuldhaftigkeit" ist grundsätzlich auch bei einfacher Fahrlässigkeit zu bejahen (vgl. § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB), etwa wenn der Betroffene - wie hier - den Meldetermin schlicht vergessen hat. Wenn die Schuldhaftigkeit ausnahmsweise erst ab der groben Fahrlässigkeit beginnen soll, dann ist dies im Gesetz ausdrücklich so festgelegt, z.B. in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X. Das BSG hat im Urteil vom 14.07.2004, B 11 AL 67/03 R, für den vergleichbaren Fall einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung festgestellt, dass ein vorwerfbares, jedoch kein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten erforderlich ist.
Es ist auch keine obergerichtliche Entscheidung bekannt, wonach eine Sanktion in Höhe von 10 % des Regelbedarfs verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Im Gegenteil: Das BSG hat mit Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 19/14 R, Rn. 50, auch Sanktionen von 30 % des Regelbedarfs als nicht verfassungswidrig angesehen. Der Kläger liegt mit seinem Einwand, Sanktionen seien grundsätzlich nicht mehr erlaubt, nicht richtig.
Ein Verfahrensmangel wurde nicht gerügt und ist auch nicht ersichtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung ist nicht erkennbar.
Im Ergebnis ist die Beschwerde zurückzuweisen mit der Folge, dass das Urteil des Sozialge...