Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Erstattung von zu Unrecht erbrachtem Arbeitslosengeld II. Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit. Interessenabwägung. öffentliches Interesse. Aufhebung der Vollziehungsanordnung auch bei verwaltungsinternem Ruhen der Forderung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Erstattung von Arbeitslosengeld II fällt nicht unter die sofortige Vollziehbarkeit nach § 39 SGB 2. Während dies bis 31.12.2008 strittig war, ist dies ab 1.1.2009 durch die Neufassung von § 39 SGB 2 eindeutig geregelt.
2. Bei einer behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86a Abs 2 Nr 5 SGG muss in der Regel ein zusätzliches öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug bestehen, selbst eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes genügt allein nicht.
3. Wenn die Behörde nur erklärt, die Erstattungsforderung verwaltungsintern ruhend zu stellen, die Aufhebung der Vollziehungsanordnung aber ablehnt, ist die Vollziehungsanordnung vom Gericht regelmäßig aufzuheben.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 27. April 2009 abgeändert.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung für die Erstattungsverfügung im Bescheid vom 19. August 2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Oktober 2008 wird aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Erstattungsverfügung im Bescheid vom 19. August 2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Oktober 2008 wird angeordnet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung für die Aufhebungsverfügung im Bescheid vom 19. August 2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Oktober 2008 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beschwerdegegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer in beiden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung von Klagen gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Die sofortige Vollziehung der Aufhebung und der Erstattung wurde im strittigen Bescheid angeordnet.
Die Beschwerdeführer (ein Ehepaar und ihre beiden minderjährigen Kinder, BF) bezogen laufend Arbeitslosengeld II von der Beschwerdegegnerin (BG). Durch einen Datenabgleich erfuhr die BG im Januar 2008, dass die BF zu 1. am 20.10.2006 Kapitalerträge in Höhe von 1400,- Euro aus einer aufgelösten Kapitallebensversicherung erhalten hatte. Mit Bescheid vom 19.08.2008 (adressiert an das Ehepaar) hob die BG die Bewilligungen für die Zeit von 01.11.2006 bis 31.12.2006 teilweise auf und forderte erbrachte Leistungen in Höhe von 1340,- Euro zurück. Der Gesamtbetrag wurde bei der Aufhebung auf die vier Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt.
Zugleich wurde im Bescheid vom 19.08.2008 der Sofortvollzug der Aufhebung und der Erstattung angeordnet. Die Anordnung liege im öffentlichen Interesse. Rechtmäßige Zustände seien zeitnah herzustellen. Dies gebiete der Grundsatz der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel. Durch eine weitere Verzögerung der Rückforderung würden Mittel der steuerfinanzierten Grundsicherung unerträglich lang gebunden. Die Anordnung rechtfertige sich aus diesen Gründen auch trotz einer möglichen Stundung des Erstattungsanspruchs, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass eventuell vorhandene Vermögenswerte dem Zugriff entzogen werden könnten.
Der gegen den Bescheid vom 12.08.2008 erhobene Widerspruch wurde durch zwei Widerspruchsbescheide vom 22.10.2008 zurückgewiesen. Hiergegen wurden zwei Klagen zum Sozialgericht Augsburg erhoben (S6 AS 1343/08 und S 6 AS 1344/08), über die noch nicht entschieden ist.
Am 26.03.2009 pfändete das Hauptzollamt im Auftrag der BG das Bankkonto des Ehemanns. Am 30.03.2009 wurde beim Sozialgericht Augsburg ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gestellt. Am 06.04.2009 teilte die BG mit, dass das Antragsverfahren überflüssig sei. Der Ehemann habe am 31.03.2009 persönlich vorgesprochen. Ihm sei mitgeteilt worden, dass die BG für die Pfändung nicht (direkt) verantwortlich sei. Die BG beauftrage mit der Beitreibung der Forderung die Bundesagentur für Arbeit, Direktion Bayern, Forderungseinzug B.. Diese wiederum habe das Hauptzollamt beauftragt. Aufgrund der Vorsprache des Ehemanns sei das Forderungskonto in B. entsprechend gekennzeichnet worden, damit vorerst keine Beitreibung der Forderung erfolgen solle. Am darauf folgenden Tag könne sich der Ehemann beim Forderungseinzug wegen der Aufhebung der Pfändung melden.
Mit Beschluss vom 29.04.2009 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen den teilweisen Aufhebungsbescheid und Rückforderungsbescheid ab. Der Antrag sei unzulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe nicht, weil der Forderungseinzug unstreitig ruhend gestellt worden sei. Für die Aufhebung der Pfändung sei nicht die BG zuständig, sondern die Bundesagentur...