Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. hausarztzentrierte Versorgung. kein Zurückbehaltungsrecht der Krankenkasse hinsichtlich der vereinbarten Gesamtvergütung
Leitsatz (amtlich)
Die Krankenkassen haben bei Verträgen über die hausarztzentrierte Versorgung kein einseitiges Recht zum Einbehalt der Vergütung (Zurückbehaltungsrecht).
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 1. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin berechtigt ist, die nach dem "Vertrag zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73 b SGB V" (Hausarztvertrag) am 23. März 2011 fällige Schlusszahlung für das Quartal 4/2010 um 25.000.000 € zu kürzen.
Die Beteiligten, der Bayerische Hausärzteverband e.V. und die AOK Bayern, sind Partner des Hausarztvertrages.
Nachdem durch Schiedsspruch für den Bereich der bayerischen Betriebskrankenkassen ein Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung mit einem Fallwert von 76 € festgesetzt worden war, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 16. August 2010 mit, dass sie, falls keine Einigung erreicht werde, mit Wirkung ab 1. Juli 2010 eine Reduzierung des allgemeinen Fallwerts auf das Niveau der Mitbewerber, d.h. auf 76 €, vornehmen werde. Mit Schreiben vom 15. September 2010 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie sich nach dem Scheitern der Verhandlungen über die sog. "Meistbegünstigungsklausel" in § 24 des Hausarztvertrages gezwungen sehe, den im Vertrag bestimmten Fallwert von maximal 84,09 € an das Niveau der Mitbewerber mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 anzupassen. Zwischenzeitlich sei nach Festsetzung durch die Schiedsperson mit Wirkung vom 1. Januar 2010 ein "Vertrag zur Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73 b SGB V" zwischen verschiedenen Betriebskrankenkassen und dem Antragsteller vereinbart worden. Nach § 10 Abs. 9 dieses Vertrages gelte für die Vergütung die Regelung, dass der finanzielle Rahmen von 76 € nicht überschritten werden solle. Nachdem beide Verträge die umfassende hausärztliche Versorgung der Versicherten vorsähen, lägen vergleichbare Vergütungstatbestände vor, so dass aus der Sicht der Antragsgegnerin die Voraussetzungen für die Anwendung der Meistbegünstigungsklausel nach § 24 Hausarztvertrag erfüllt seien. Ab 1. Januar 2010 werde deshalb die AOK Bayern nur noch eine Fallwertobergrenze von 76 € gegen sich gelten lassen. Die Überzahlungen für das 1. und 2. Quartal 2010 werde die Antragsgegnerin mit der Schlussrechnung für das 2. Quartal, fällig am 15. September 2010, verrechnen. Gemäß dieses Schreibens behielt die Antragsgegnerin einen Teilbetrag von 37.851.631,66 € ein. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Sozialgericht München gab diesem Antrag mit Beschluss vom 3. Dezember 2010 statt (S 39 KA 672/10 ER). Die Beschwerde wies das Bayer. Landessozialgericht mit Beschluss vom 17. Januar 2011 zurück (L 12 KA 123/10 B ER). Für das Quartal 3/2010 stellte der Antragsteller am 23. November 2010 die Rechnung für die Schlusszahlung über 72.134.014,36 €, die am 13. Dezember 2010 fällig war. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2010 erklärte die Antragsgegnerin, sie sehe sich wie bereits angekündigt weiterhin gezwungen, auch im Rahmen der Schlussrechnung für das Quartal 3/2010 den im Vertrag bestimmten Fallwert in Anwendung der sog. "Meistbegünstigungsklausel" (§ 24 Hausarztvertrag) an das Niveau der Wettbewerber anzupassen. Aus der Schlussrechnung ergebe sich ein durchschnittlicher Fallwert von 82,25 €. Dieser sei an die Fallwertobergrenze von 76 € anzupassen, woraus sich ein Einbehalt von 16.179.057,23 € ergebe, in dem ein Kürzungsbetrag in Höhe von 265.527,27 € infolge zulässiger Rückrechnungen für die Vorquartale 1 und 2/2010 enthalten sei. Am 4. Januar 2011 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht München (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Kürzungsbetrag von 16.179.057,23 € der am 13. Dezember 2010 fälligen Schlusszahlung an die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) auszuzahlen. Das SG gab diesem Antrag mit Beschluss vom 6. Juni 2011 statt. Die Beschwerde wurde vom Senat durch Beschluss vom 20. Dezember 2011 zurückgewiesen.
Für das streitgegenständliche Quartal 4/2010 stellte der Antragsteller am 4. April 2011 eine Schlussrechnung über 77.840.819,13 €, die am 23. April 2011 fällig war. Die Antragsgegnerin behielt 25.000.000 € ein.
Am 20. April 2011 beantragte der Antragsteller beim SG wiederum den Erlass einer einstweiligen Anordnung, den Kürzungsbetrag von 25.000.000 € an die HÄGV zu zahlen. Er trug vor, dass der Antrag zulässig sei, da auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens verzichtet worden sei. Die Meistbegünstigungsklausel sei nicht anwendbar, da der Hausarztvertrag mit den Betriebskrankenkassen im Wege eines Schiedsspruchs festgesetzt ...