Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Statthaftigkeit eines Befangenheitsantrags für ein Verfahren der Anhörungsrüge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Befangenheitsantrag, der sich auf ein unstatthaftes Verfahren bezieht, ist unzulässig.

2. Nach Abschluss der Instanz ist ein Befangenheitsantrag unzulässig, da er prozessual überholt ist.

3. Ein Befangenheitsantrag im Rahmen eines Verfahrens der Anhörungsrüge ist grundsätzlich nicht statthaft und daher unzulässig.

 

Tenor

Die von den Beschwerdeführern gestellten Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht A., den Richter am Landessozialgericht B., die Richterin am Landessozialgericht C. und den Richter am Landessozialgericht D. werden als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I.

Zu entscheiden ist vorliegend über Befangenheitsgesuche für ein (bereits entschiedenes) Beschwerdeverfahren gegen einen im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Beschluss des Sozialgerichts, in einem Verfahren einer Anhörungsrüge und in einem Verfahren einer (sofortigen) Beschwerde, beide gegen einen im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts (LSG).

Mit Beschluss vom 06.08.2020, L 11 AS 354/20 B ER, hat der 11. Senat des Bayer. LSG die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.05.2020 verworfen.

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Beschwerdeführer) haben anschließend mit Schreiben vom 21.08.2020 u.a. Folgendes vorgetragen:

Es sei für sie nicht zu erklären, dass das Gericht immer wieder Partei für den Beschwerdegegner ergreife. Bereits das Verhalten und die Vorgehensweise im Termin vom 13.03.2019 würden den Antrag auf Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter am LSG A., den Richter am LSG B. und den Richter am LSG D., am 04.08.2020 auch gegen die Richterin am LSG C. begründen. Bereits am 04.08.2020 seien Befangenheitsanträge gegen die Richter gestellt worden; folglich seien alle seither trotzdem ergangenen Beschlüsse rechtswidrig. Gegen den Beschluss vom 06.08.2020 ergehe daher "Beschwerde", "hilfsweise ... auch ... Anhörungsrüge, sofortige Beschwerde und Bekräftigung unseres Antrages wegen Befangenheit!"

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens verwiesen.

II.

Das LSG entscheidet über die Ablehnungsgesuche der Beschwerdeführer im Schreiben vom 21.08.2020, die dadurch zum Ausdruck kommen, dass die Beschwerdeführer die "Bekräftigung unseres Antrages wegen Befangenheit" (Seite 2 des Schreibens vom 21.08.2020) erklären, gegen die vier in diesem Schreiben genannten Richter durch Beschluss (§ 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -), wobei die Entscheidung vorliegend ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter ergeht (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO).

Eine Einholung von dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter war wegen der Unzulässigkeit (s. unten) der Befangenheitsanträge nicht erforderlich. Eine dienstliche Stellungnahme ist nämlich nur dann einzuholen, "soweit das für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch notwendig und zweckmäßig ist" (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 23.10.2007, 9 A 50/07, 9 VR 19/07, 9 VR 21/07). Sind - wie hier - Befangenheitsanträge bereits unzulässig, ist die Einholung dienstlicher Stellungnahmen daher verzichtbar.

Die Ablehnungsgesuche sind allesamt und in allen denkbaren Ausprägungen unzulässig.

1. Auslegung des Schreibens vom 21.08.2020

Das Schreiben enthält Befangenheitsanträge gegen die vier in diesem Schreiben genannten Richter, den Vorsitzenden Richter am LSG A., den Richter am LSG B., den Richter am LSG D. und die Richterin am LSG C., sowohl für das mit Beschluss vom 06.08.2020 entschiedene Beschwerdeverfahren als auch für alle von den Beschwerdeführern geltend gemachten und gegen den Beschluss vom 06.08.2020 gerichteten Rechtsbehelfe im weitesten Sinne (Anhörungsrüge, [sofortige] Beschwerde).

Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und des sich daraus ergebenden Begehrens vor Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ist der wirkliche Wille des Beteiligten zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falls, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteile vom 22.03.1988, 8/5a RKn 11/87, und vom 14.06.2018, B 9 SB 2/16 R).

Zu berücksichtigen ist der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 22.02.1985, 8 C 107/83; BSG, Beschlüsse 16.02.2012, B 9 SB 48/11 B, und vom 05.06.2014, B 10 ÜG 29/13 B, Urteil vom 14.06.2018, B 9 SB 2/16 ...

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