Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende: Voraussetzungen für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Leistungsausschluss bei Unterbringung in einem SOS-Kinderdorf
Leitsatz (amtlich)
1. Der Streitgegenstand im Eilverfahren bestimmt sich nach dem Streitgegenstand im Hauptsacheverfahren, also bei Leistungen nach dem SGB II auf den jeweiligen Bewilligungszeitraum.
2. Beschlüsse im Eilverfahren haben Rechtskraft.
3. Beschlüsse im Eilverfahren können nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG geändert werden.
4. Zur Notwendigkeit von Eilregelungen bei eheähnlicher Gemeinschaft.
5. Vorläufige Leistungen zur Ausübung des Umgangsrechts eines Elternteils.
6. Zur stationären Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe.
Orientierungssatz
1. Für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft müssen drei Voraussetzungen vorliegen: Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (Einstandswille). Der Einstandswille ist eine subjektive Voraussetzung. Wenn die Anknüpfungstatsachen (Indizien) der Vermutung nach § 7 Abs. 3a SGB II gegeben sind, kommt die widerlegbare Vermutung zum Tragen (BSG, 23. August 2012, B 4 AS 34/12 R).
2. Legt der Leistungsberechtigte keine Daten vor, die den Grundsicherungsträger zu einer Prognose veranlassen könnten, kommt eine vorläufige Leistungsbewilligung nach § 41a SGB II im Vorgriff auf die Ausübung eines Umgangsrechts nicht in Betracht.
3. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II sind bei einer Unterbringung in einem SOS-Kinderdorf gegeben. Während der stationären Unterbringung übernimmt auch der Träger der Einrichtung nach Maßgabe seines Konzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung (BSG, 5. Juni 2014, B 4 AS 32/13 R).
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) zu 1) begehrt vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg) höhere Leistungen nach dem SGB II, insbesondere ohne Berücksichtigung von Frau K. M. (künftig M), die der Bg bei seinen Leistungsbewilligungen als Partnerin des Bf zu 1) in einer eheähnlichen Gemeinschaft berücksichtigt hat.
Der Bf zu 2), der 2001 geborene Sohn des Bf zu 1), begehrt vom Bg Leistungen nach dem SGB II als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Bf zu 1), da er entgegen der Ansicht des Bg durch seine stationäre Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung (SOS-Kinderdorf) nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei.
Der Bf zu 3), der 2005 geborene Sohn des Bf zu 1), der im Haushalt seiner Mutter wohnt, begehrt vom Bg Leistungen nach dem SGB II für seine Aufenthalte beim Bf zu 1) im Rahmen des Umgangsrechts des Bf zu 1).
Der 1958 geborene Bf zu 1) ist schwerbehindert mit einem GdB von 60 mit Merkzeichen "G". Er betreibt ein Gewerbe, ohne daraus Einkommen zu erzielen. Monatlich erzielt der Bf zu 1) aus einer weiteren Tätigkeit regelmäßig 27,50 Euro als Einkommen. Seit Juni 2017 übt der Bf zu1) einen Minijob auf 450,00 EUR-Basis aus.
Der Bf zu 2) bezieht Kindergeld iHv 192,00 EUR monatlich und nach Angaben des Bf zu 1) in einer Zusammenstellung seiner Kosten und Einnahmen eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 138,11 EUR. Der Bf zu 2) ist seit 08.10.2016 in der heilpädagogischen Wohngruppe "K." im SOS-Kinderdorf in B-Stadt, einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe, untergebracht und erhält dort Hilfe zur Erziehung in Form der Heimunterbringung gemäß § 34 SGB VIII.
Der Bf zu 1) und der Bf zu 2) bezogen vor dessen Unterbringung in einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe vom Bg Leistungen nach dem SGB II als Bedarfsgemeinschaft. Die Bf zu 1) und 2) bewohnten eine ca. 56 qm große Zweizimmerwohnung, in der sich zeitweise auch der Bf zu 3) im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts des Bf zu 1) aufhielt.
In diese Zweizimmerwohnung zog Frau M laut vorgelegter Meldebescheinigung zum 04.01.2016 ein. Frau M, geboren 1960, arbeitet als Pflegehelferin und erzielt daraus ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von zuletzt 2.366,84 EUR (netto 1.641,78 EUR).
In der Folge berücksichtigte der Bg Frau M bei der Leistungsfestsetzung als Mitglied einer Haushaltsgemeinschaft mit den Bf zu 1) und 2), wobei die Bewilligungen im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit des Bf zu 1) vorläufig waren.
Zum 01.07.2016 bezogen die Bf zu 1) und 2) zusammen mit Frau M eine größere Wohnung, was sie dem Bg am 06.06.2016 mitgeteilt hatten. Den Mietvertrag für die Dreizimmerwohnung unterzeichneten der Bf zu 1) und Frau M als Mieter gemeinsam. Die Grundmiete beträgt monatlich 819,00 EUR. Für Betriebskosten ist eine Vorauszahlung von 100,00 EUR, für Heizkosten in Höhe von 140,00 EUR monatlich zu lei...