Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Erwerbsminderung. Berufsunfähigkeit. Zeitliche Leistungseinschränkung. Fibromyalgie. Somatoforme Schmerzstörung. Testpsychologische Untersuchungen. Gutachten. Bürotätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Entscheidend für die Beurteilung der zeitlichen Leistungsfähigkeit ist nicht die Diagnose einer Krankheit, sondern vielmehr die Ausprägung der Symptome und das Ausmaß der daraus resultierenden funktionellen Beeinträchtigungen.
2. Die wiederholte Anhörung des selben Gutachters gem. § 109 SGG ist nur gerechtfertigt, wenn besondere Umstände vorliegen. Hierzu gehört etwa die Situation, dass sich der Gutachter zu entscheidungserheblichen Fragen nicht oder nur unvollständig geäußert hat oder sich zusätzliche rechtserhebliche Tatsachen ergeben haben, z. B. neue Gesundheitsstörungen aufgetreten sind. Es stellt hingegen keinen besonderen Umstand dar, wenn das Gericht von Amts wegen eine weitere gutachtliche Äußerung eingeholt hat.
Normenkette
SGB VI §§ 43, 240; SGG § 109
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.09.2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren hat.
Die Klägerin ist 1960 geboren. Sie hat eine Ausbildung zur Auslandskorrespondentin abgeschlossen und in diesem Beruf von 1978 bis 1984 gearbeitet. Von 1996 bis 1998 war sie als Verkäuferin beschäftigt. Vom April 1988 bis Februar 1999 absolvierte sie eine Umschulung zur Europäischen Verkaufskorrespondentin und arbeitete zuletzt bis Juni 2000 als Sachbearbeiterin im Büro eines Modevertriebs, der im Jahre 2000 in Konkurs gegangen ist. Seither ist sie arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos.
Ein erster Antrag der Klägerin vom 07.03.2002 auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung wurde von der Beklagten bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 12.06.2003; Widerspruchsbescheid vom 23.04.2003; Klagerücknahme im anschließenden Gerichtsverfahren mit Schreiben vom 28.10.2003).
Mit Schreiben vom 29.04.2004, bei der Beklagten eingegangen am 03.05.2004, beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Klägerin leide seit dem Jahr 2000 an Fibromyalgie und orthopädischen Störungen und Beschwerden.
Im Auftrag der Beklagten wurde die Klägerin durch den Neurologen und Psychiater Dr. R. begutachtet. Mit Ausnahme einer geringgradigen paravertebralen Druckschmerzhaftigkeit stellte der Gutachter einen regelrechten Befund fest. Er habe weder ein sensibles Defizit noch Paresen und auch keine eindeutigen Tender-Points feststellen können. Die psychiatrische Untersuchung habe eine leichte depressive Störung gezeigt. Es bestehe lediglich eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit für sehr schwere körperliche Tätigkeiten. Darüber hinaus bestehe keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin und Fremdsprachenkorrespondentin könne weiterhin vollschichtig ausgeübt werden.
Der orthopädische Gutachter Dr. L. stellte eine Diskrepanz zwischen der allenfalls gering verspannten Wirbelsäulen- bzw. Schultermuskulatur und den massiv angegebenen Schmerzen fest. Die Entfaltung der Wirbelsäule sei gering eingeschränkt. Bei der Untersuchung habe die Klägerin aus Angst vor Schmerzen Bewegungen des Kopfes und der Wirbelsäule nur zeitlupenartig durchgeführt. Die Beweglichkeit der unteren Extremitäten sei frei und schmerzfrei. Auf Röntgenaufnahmen sei eine (geringe) skoliotische Fehlhaltung der unteren HWS und der LWS zu erkennen. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin als Fremdsprachenkorrespondentin sei nicht eingeschränkt. Die Hauptbeschwerden lägen sicherlich auf psychotherapeutisch/psychologischem Fachgebiet. Unter den Gegebenheiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin qualitativ leichtgradig, nicht aber zeitlich eingeschränkt.
Mit Bescheid vom 15.09.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab.
Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch; mit den Einschätzungen der Gutachter bestehe kein Einverständnis. Wenn der Gutachter Dr. R. erklärt habe, es bestünden keine eindeutigen Tender-Points, belege dies, dass sich der Gutachter mit der Erkrankung eines Fibromyalgiesyndroms, das bei der Klägerin mehrfach eindeutig diagnostiziert worden sei, nicht ausreichend auseinander gesetzt habe. Zudem sei die Diagnose einer leichten depressiven Störung unzutreffend. Die Aussagen im Gutachten von Dr. L. würden sich nicht mit den Angaben der Klägerin decken. Es liege eine erhebliche körperliche Einschränkung vor. Die Beklagte habe es unterlassen, Befundberichte der behandelnden Ärzte einzuholen. Aufgrund der nervenärztlichen Erkrankungen im Zusammenspiel mit den deutlich einschränkenden orthopädischen und internistischen Erkrankungen sei ein Leistungsvermögen von maximal unter drei Stunden täglich zut...