Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Versicherungspflicht des nichtgewerbsmäßigen Jagdpächters gem §§ 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a iVm 123 Abs 1 Nr 5 SGB 7. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung gem § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 154 bis 162 VwGO
Leitsatz (amtlich)
1. § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB 7 iVm § 123 Abs.1 Nr 5 SGB 7 genügen dem aus Art 20 Abs 1 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot der ausreichenden Bestimmtheit. Diese Vorschriften sind weder nach der grammatikalischen, systematischen noch nach der teleologischen einschließlich historischen Interpretation in dem Sinne auszulegen, dass Jagdpachten, die nicht gewerbsmäßig betrieben werden, nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen.
2. Auch eine Interpretation dieser Vorschriften im Rahmen einer teleologischen Reduktion dahingehend, dass nicht gewerbsmäßig betriebene Jagdpachten nicht unter den Begriff "landwirtschaftliche Unternehmen" fallen, ist rechtlich unzulässig. Insbesondere droht bei wortlautgetreuer Auslegung kein Verstoß gegen Grundrechte (Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG und Art 14 Abs 1 GG).
3. Der mit der Beitragspflicht verbundene Unfallversicherungsschutz nach dem SGB 7 ist Ausfluss des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG). Die soziale Schutzbedürftigkeit bezieht sich nicht nur auf die Unternehmer selbst, sondern zusätzlich auf deren mitarbeitende Familienangehörige, Beschäftigte und sog Wie-Beschäftigte.
4. Die Pflichtversicherung des Jagdpächters als Unternehmer der Jagd in der gesetzlichen Unfallversicherung verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit gem Art 57 Abs 1 AEUV und ist auch mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (Art 49, 50 EGV) vereinbar.
5. Wendet sich der Jagdpächter mit der Klage/Berufung gegen die Feststellung des Trägers der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, dass dieser für ihn als Unternehmer (Jagdpächter) iSd § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB 7 iVm § 123 Abs 1 Nr 5 SGB 7 zuständig ist und er der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegt, ist er nicht iSd § 183 S 1 SGG kostenrechtlich privilegiert, sondern die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung VwGO entsprechend). Denn er führt den Rechtsstreit nicht in seiner Eigenschaft als Versicherter, sondern als landwirtschaftlicher Unternehmer. Durch einen Zuständigkeitsbescheid des Unfallversicherungsträgers wird allein die Unternehmereigenschaft des Adressaten begründet und geregelt, nicht jedoch dessen Status als Versicherter.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Kostenentscheidung in Ziffer II des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Bayreuth vom 30. August 2019 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Klage- und Berufungsverfahren wird auf jeweils 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht des Klägers als Jagdpächter in der gesetzlichen Unfallversicherung streitig.
Mit Bescheid vom 30.06.2015 stellte die Beklagte ab 01.04.2015 ihre Zuständigkeit für den Kläger als Unternehmer der Jagd für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.03.2024 fest, weil der Kläger einen Pachtvertrag über das 193 Hektar (ha) umfassende Eigenjagdrevier M im Landkreis A abgeschlossen hatte. Dies war der Beklagten durch das Landratsamt A mitgeteilt worden. Zur Begründung verwies die Beklagte auf § 123 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Der Bescheid wurde an die Adresse des Klägers "S Ring, A" versandt. Mit Bescheid vom 24.08.2016 setzte die Beklagte den Unfallversicherungsbeitrag für das Umlagejahr 2015 und den Beitragsvorschuss für das Umlagejahr 2016 fest. Hiergegen legte der Kläger am 29.08.2016 Widerspruch ein, teilte seine neue Adresse "A Straße, A" mit und forderte den Bescheid über den Beginn der Zuständigkeit der Beklagten an, den er niemals erhalten habe. Mit Begleitschreiben vom 13.09.2016 übersandte die Beklagte einen Archivausdruck des Bescheides vom 30.06.2015. Für das Begleitschreiben wie für den Bescheid vom 30.06.2015 war eine Ansprechpartnerin namentlich in Druckschrift angegeben, die im Auftrag der Geschäftsführung in gedrucktem Text gezeichnet hatte.
Gegen den Bescheid vom 30.06.2015 legte der Kläger am 16.09.2016 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass es sich bei seiner Jagd um eine reine Freizeitbeschäftigung handele. Hinsichtlich der Gefahren im Zusammenhang mit der Ausübung seiner Freizeitaktivitäten seien er und seine Familienmitglieder über private Versicherungen ausreichend abgesichert. Im Gesetz sei keine Ermächtigungsgrundlage vorgesehen, Jagdausübungsberechtigte zur Sozialversicherung heranzuziehen; insbesondere seien ...