Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Abgrenzung: Betriebsweg. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. betriebsdienlicher Zweck. Versicherungsschutz beim Zurücklegen von Wegen zum Home-Office im eigenen häuslichen Bereich. Treppensturz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für das Zurücklegen von Betriebswegen besteht auch innerhalb des eigenen häuslichen Bereichs unter bestimmten Voraussetzungen Versicherungsschutz nach § 8 Abs 1 SGB 7.

2. Dagegen unterliegt das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit innerhalb des eigenen häuslichen Bereichs nicht dem Schutz der Wegeunfallversicherung gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7. Denn der zu Hause in einem Home-Office arbeitende Beschäftigte vermeidet gerade die Verkehrsgefahren, denen ein Beschäftigter beim Zurücklegen eines Weges zum Ort der versicherten Tätigkeit im öffentlichen Verkehrsraum ausgesetzt ist.

3. Betriebswege werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Allein der Umstand, dass eine Treppe im häuslichen Bereich benutzt werden muss, um den Arbeitsbereich zu erreichen, vermag das unmittelbare Betriebsinteresse am Zurücklegen des Weges nicht zu begründen.

 

Normenkette

SGB VII § 8 Abs. 1, 2 Nrn. 1, 5, §§ 7, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 136 Abs. 3 Nr. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.11.2018; Aktenzeichen B 2 U 28/17 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31.01.2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Sturz der Klägerin am 18.01.2013 beim Hinuntersteigen der häuslichen Kellertreppe ein Arbeitsunfall ist.

Die 1959 geborene Klägerin war seit 01.04.2011 als abhängig beschäftigte Arbeitnehmerin für die M. P. Gmbh (R-Straße 10, D-Stadt - im Folgenden bezeichnet als M.) tätig. M. verkaufte Firmenkunden (Geschenk-) Gutscheine in Form geldwerter Gutscheine und Internetcodes, die in verschiedenen Geschäften eingelöst werden und die von Firmen u.a. an Arbeitnehmer als Prämien oder an Kunden zur Kundenbindung weitergegeben werden konnten. Im Juni 2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Arbeitgeberunternehmen eröffnet.

Mit Arbeitsvertrag (ArbV) vom 25.03.2011 wurde die Klägerin ab 01.04.2011 als Sales und Key Account Managerin eingestellt. Zu ihren Aufgaben gehörten das Wahrnehmen von Verkaufsterminen im Außendienst bei Kunden, bei Händlern, an der Adresse des Arbeitgebers in D-Stadt sowie die Vertretung des Arbeitgebers deutschlandweit auf Messen und Kongressen (§ 1 ArbV) bzw. gemäß § 3 ArbV

- schwerpunktmäßig die Gewinnung, Betreuung und Ausbau von Key-Accounts (= Schlüsselkunden),

- der Verkauf an Kunden und Key Accounts mit Vermarktung aller M.-Produkte und M.-Services,

- Telefonverkauf,

- Durchführung von Verkaufs- und Präsentations-Terminen bei Kunden vor Ort oder bei M.,

- Angebotserstellung und Verfolgung sowie

- Kundenbetreuung.

Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte die Klägerin ihren Wohnsitz in Montenegro (P.) bzw. eine Meldeadresse in Rheinland-Pfalz (P-Stadt). In § 1 ArbV wurde vereinbart, dass regelmäßiger Arbeitsort die zukünftige Adresse des Arbeitnehmers im Raum B-Stadt sei. Weitere Ausführungen zum Arbeitsplatz der Klägerin enthielt der Vertrag nicht, insbesondere keine Vereinbarungen zur Einrichtung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes im häuslichen Bereich. Die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden an fünf Tagen in der Woche beinhaltete eine Kernarbeitszeit von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr (§ 5 ArbV).

Am Freitag, den 18.01.2013, fuhr die Klägerin gegen 8.00 Uhr zur Bauleitmesse auf das Messegelände B-Stadt, um Kunden für ein Projekt zu gewinnen. Frau G., die für die Gesamtleitung des Vertriebs international zuständig war, teilte der Klägerin telefonisch gegen ca. 14.45 Uhr mit, dass die für 15.00 Uhr geplante Telefonkonferenz aller Mitarbeiter von M. in Europa auf Montag verschoben worden sei, und forderte die Klägerin auf, um 16.30 Uhr den Geschäftsführer H. anzurufen. Einen besonderen Grund für den Anruf teilte sie der Klägerin nicht mit. Die Klägerin fuhr daraufhin nach Hause und wollte sich nach ihrer Ankunft im Haus über die Kellertreppe in das Kellergeschoss begeben. Dort wollte sie im Flur die mitgeführten Arbeitsmaterialien ablegen und in ihrem Büro (Home-Office) den mitgeführten Laptop anschließen, um über diesen das Telefonat mit Herrn H. um 16.30 Uhr zu führen. Beim Hinabsteigen der Treppe auf dem Weg zu ihrem Büro gegen ca. 16.10 Uhr rutschte die Klägerin auf einer Treppenstufe ab und stürzte.

Sie stellte sich noch am Unfalltag kurz nach 17.00 Uhr beim Durchgangsarzt (D-Arzt) Dr. K. im Krankenhaus A-Stadt vor und teilte mit, dass sie gegen 16.10 Uhr auf dem Weg in ihr Büro auf einer Treppenstufe abgerutscht, mit der oberen Brustwirbelsäule (...

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