Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Gewährung von Blindengeld. Anspruch auf Blindengeld bei einer zerebralen Störung des Sehvermögens. Zulässigkeit der Annahme von Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen der versorgungsmedizinischen Grundsätze
Leitsatz (amtlich)
1. Eine der Blindheit entsprechende zerebrale Störung des Sehvermögens setzt keine spezifische Sehstörung voraus (Aufgabe von BayLSG vom 27.03.2014, L 15 BL 5/11).
2. Im Falle zerebraler Störungen ist zu prüfen, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (optische Reizaufnahme und Verarbeitung) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen.
3. In besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder ist die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft nicht von vornherein ausgeschlossen. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist jedoch, dass feststeht, ob die Visus und Gesichtsfeldwerte unter die normierten Grenzen herabgesunken sind bzw. welche Werte im Einzelnen erreicht werden. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht.
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. November 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Der Kläger ist 2004 geboren. Mit Bescheid vom 08.07.2009 wurden vom Beklagten ein GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG", "B", "H" und "RF" festgestellt.
Am 06.03.2009 stellte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, Antrag auf Blindengeld beim Beklagten. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte die vorgelegten Unterlagen aus, wie den Bescheid der M. Pflegekasse vom 13.06.2008 bezüglich der Feststellung der Pflegestufe III und eine Reihe von medizinischen Berichten.
* Im Bericht der Klinik für Neuropädiatrie und neurologische Rehabilitation, Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche, Behandlungszentrum V., vom 25.08.2008 wurde darauf hingewiesen, dass die Grunderkrankung des Klägers nicht geklärt sei, es wurden vorsichtige Modifikationen der derzeitigen antiepileptischen Therapie empfohlen. Der Kläger wurde dort wegen fortschreitender geistiger Entwicklungsretadierung mit sprachlichem Schwerpunkt, fortschreitender Ataxie, Hypotonie und orofacialer Hypotonie sowie symptomatischer Epilepsie behandelt. Im Bericht wurde eine augenärztliche Untersuchung vom 08.07.2008 erwähnt, die ergeben hatte, dass eine Fixation beidseits nur auf große Objekte und Licht möglich sei; die Motilität sei frei, es seien kein Drift der Augen gesehen worden und auch kein Nystagmus, "keine Blickparese nach unten, weiterhin Visusminderung beidseits." Im Bericht wurden weiter objektive Refraktionswerte angegeben und die Empfehlung, zu versuchen, eine Brille zu tragen, ausgesprochen.
* In der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des UKR vom 21.08.2008 wurde der Verdacht auf Visusminderung im Rahmen eines Symptomkomplexes bisher unklarer Äthiologie als Diagnose festgestellt. Im Rahmen der Befunderhebung wurde festgestellt, dass keine Fixation aufgenommen worden sei, der Kläger habe jedoch zum Teil nach Gegenständen gegriffen.
* Im Bericht der F-Klinik (Kinder- und Jugendmedizin) vom 08.04.2009 wurden die Diagnosen lokalisationsbezogene fokale partielle symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen, schwere psychomotorische Retadierung bei unklarer Grunderkrankung und langzeitige Abhängigkeit vom Rollstuhl und Stuhlinkontinenz gestellt. Die Krampfanfälle seien eher unverändert geblieben, "jedoch gebesserte Motorik und Verhalten", so dass nach früheren Rückschritten jetzt wieder eine Verbesserung eingetreten sei. Im Rahmen des Aufnahmebefundes wurde u.a. festhalten, dass mit dem Kläger wenig Kontaktaufnahme möglich sei.
Sodann fertigte die Augenärztin L. am 26.05.2009 im Auftrag des Beklagten ein Gutachten an. Die Ärztin stellte fest, dass beim Kläger eine Epilepsie und eine Entwicklungsstörung vorliegen würden. Nach Angaben der Mutter sei der Kläger als gesundes Kind geboren worden und habe auch erste Worte sprechen können, als die Anfälle begonnen hätten und damit ein Rückschritt im Entwicklungsstand des Klägers eingesetzt habe. Im Rahmen der Befunderhebung schilderte die Ärztin, dass der Kläger keinerlei Folgebewegungen (mit den Augen) gemacht habe, es sei zu keinem Zeitpunkt der Versuch einer Fixationsaufnahme erfolgt. Es lasse sich keine Reaktion erkennen auf Abdunkeln und plötzliches Erleuchten des Raumes, helles Licht im dunklen Raum, auf bewegte Personen, auf bewegte bunte oder schwarze Gegenstände oder auf schnelle angreifende Handbewegungen auf das Gesicht zu. Ausschließlich das bei der direkten und indirekten Fundusuntersuchung extrem helle ...