Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Übernahme von Leistungen für die Dauer eines Aufenthalts in einem Frauenhaus. Erstattungspflicht zwischen verschiedenen Grundsicherungsträgern wegen Leistungserbringung bei Aufenthalt im Frauenhaus. Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts während des Frauenhausaufenthaltes

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Erstattungspflicht der Herkunftskommune anlässlich der Aufnahme einer Leistungsberechtigten im einem Frauenhaus.

 

Orientierungssatz

1. Der örtliche Träger der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Leistungen aufgrund des Aufenthaltes einer Leistungsberechtigten in einem Frauenhaus in seinem Gemeindegebiet erbringt, hat jedenfalls dann einen Anspruch auf Erstattung gegen den vormals örtlich zuständigen Hilfeträger, wenn ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes und damit die Neubegründung der örtlichen Zuständigkeit eines Leistungsträgers erst mit dem Einzug in das Frauenhaus festgestellt werden kann.

2. Bei der Aufnahme in ein Frauenhaus ist im Regelfall eine Rückkehr zum vormaligen Wohnsitz selbst bei häuslicher Gewalt als Fluchtgrund nicht ausgeschlossen und deshalb der Aufenthalt im Zuständigkeit des neuen Leistungsträgers als nur vorübergehend anzusehen ist, jedenfalls soweit die Leistungsberechtigte nicht selbst durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringt, dass sie von einer dauerhaften Wohnsitznahme im Bezirk des neuen Leistungsträgers ausgeht.

3. Die Erstattungspflicht eines örtlich zuständigen Trägers von Grundsicherungsleistungen gegenüber einem aufgrund des vorübergehenden Aufenthalts einer Leistungsempfängerin in einem Frauenhaus leistungspflichtigen Grundsicherungsträgers entfällt nicht schon dann, wenn die Leistungsempfängerin vor der Aufnahme in das Frauenhaus kurzzeitig im örtlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen Grundsicherungsträgers untergekommen war, jedenfalls soweit dieser Aufenthalt von Beginn an nur als Zwischenstation ausgelegt war.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.04.2015 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung von Aufwendungen für die Unterbringung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Leistungsberechtigter in einem Frauenhaus.

Frau A. (G.) sowie ihre drei minderjährigen Kinder fanden am 01.05.2013 Aufnahme in dem von der Stadt S. betriebenen A.-W. Frauenhaus. Nach ihren Angaben konnte sie, nachdem sie ein Opfer häuslicher Gewalt geworden war, mit Hilfe der für ihren Wohnort in H-Stadt (L. Kreis) zuständigen Polizei am 15.04.2013 von zu Hause fliehen. Nachdem sie weder in H. noch in H-Stadt in einem Frauenhaus Aufnahme gefunden hatte, zog G. zu einem Onkel nach F-Stadt und eine Woche später zu einem anderen Onkel nach A-Stadt. Auch in dem Frauenhaus der Stadt A. war eine Unterbringung nicht möglich, worauf sich für G. nach einer Internetrecherche Ende April die Möglichkeit eröffnete, in dem Frauenhaus der Stadt S. unterzukommen. Dort war sie in der Zeit vom 01.05.2013 bis zu ihrem Auszug am 01.09.2014.

Auf Antrag vom 10.05.2013 bewilligte der Kläger G. und deren Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) für die Zeit ab dem 01.05.2013 (Bescheid vom 10.05.2013; Zeitraum 01.05.2013 bis 31.10.2013) sowie in der Folge von Weiterbewilligungsanträgen (Antrag vom 18.10.2013 - Bescheid vom 25.10.2013 idF des Bescheides vom 12.12.2013; Zeitraum 01.11.2013 bis 30.04.2014 - Antrag vom 26.03.2014 - Bescheid vom 30.04.2014 idF des Aufhebungsbescheides vom 04.08.2014; Zeitraum 01.05.2014 bis 31.08.2014) weitergehend bis 31.08.2014. Als berücksichtigungsfähige Kosten der Unterkunft und Heizung lagen den Bewilligungen die vom Frauenhaus der Stadt S. in Rechnung gestellten Nutzungsentgelte von 12,00 € pro Nacht und Wohneinheit zugrunde, die der Kläger - jeweils nach Rechnungsstellung und durchgehend bis zum Auszug der G. aus dem Frauenhaus zum 01.09.2014 - unmittelbar an den Träger der Unterkunft auszahlte. Unter Beachtung der Kindergeldzahlungen (und ab 01.01.2014 der Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) erbrachte der Kläger im Zeitraum vom 01.05.2013 bis 01.09.2014 an G. und deren Kinder Unterkunftskosten in Höhe jeweils von 3,00 € kalendertäglich (für G. im Zeitraum vom 01.05.2013 bis 31.08.2014 in Höhe von insgesamt 1.464,00 €; für deren Kinder im Zeitraum vom 01.05.2013 bis 31.12.2013 in Höhe von jeweils 735,00 €). Zudem bewilligte der Kläger für zwei Kinder der G. Leistungen zur Bildung und Teilhabe in Höhe von jeweils 70,00 € (Bescheide vom 02.08.2013).

Bereits mit Schreiben vom 10.05.2013 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten unter Hinweis auf § 36a SGB II die Erstattung der durch die Aufnahme der G. im Frauenhaus entstandenen Unterkunftskosten dem Grunde nach geltend. Deren Erstattung lehnte der Beklagte unabhängig von dessen Schreiben vom 10.05.2013 mit Schreiben vom 26.06.2013 und 16.09.2013 ab. G. habe...

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