Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Schadensersatzanspruch eines Leistungserbringers wegen Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Zur ergänzenden Anwendbarkeit von Regelungen des BGB im Rahmen des Rechtsverhältnisses zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer.
2. Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Pflichtverletzung im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses (culpa in contrahendo).
3. Die Klärung der Frage, ob der Beitritt zu einem Vertrag auch ohne Erfüllung der im Rahmenvertrag genannten Auflagen möglich ist, stellt eine wesentliche Vorfrage dar und dient der Anbahnung eines Schuldverhältnisses. Dies gilt erst recht bei entsprechender Einleitung eines Klageverfahrens bzw. einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
4. Dabei ist grundsätzlich nicht auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Fachverband und den Krankenkassen abzustellen.
5. Zur Frage des Vertretenmüssens der Krankenkasse, wenn eine Klage eines Leistungserbringers gegen die Krankenkassen erst im Revisionsverfahren (teilweise) erfolgreich war.
Orientierungssatz
1. Das Rechtsverhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer richtet sich nach §§ 126 ff SGB V und somit nach öffentlichem Recht. Auf Regelungen des Privatrechts kann nur zurückgegriffen werden, wenn eine Regelungslücke besteht, wobei auch hier Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses zu berücksichtigen sind. Aus § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V folgt, dass hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs insbesondere § 280 Abs. 1 BGB und § 241 Abs. 2 BGB entsprechend anwendbar sind (so z.B. zuletzt auch: LSG München, 21. Juli 2015, L 5 KR 414/13).
2. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen. Dies gilt erst recht, wenn es sich bei dem Schuldner um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt. Er handelt schuldhaft, wenn er seine eigene Rechtsansicht zwar sorgfältig gebildet hat, mit einer abweichenden Beurteilung durch das zuständige Gericht aber ernsthaft rechnen musste.
3. Ein fahrlässiges Verhalten einer Krankenkasse bei der sorgfältigen Prüfung der Rechtslage kann nicht angenommen werden, wenn eine Klage eines Leistungserbringers erst im Revisionsverfahren (teilweise) erfolgreich ist und das BSG eine Rechtsfrage entschied, die höchstrichterlich noch nicht geklärt war und die die Vorinstanzen abweichend beurteilt haben.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. November 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 31.932,82 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt Schadensersatz aus einem (vorvertraglichen) Schuldverhältnis in Höhe der entgangenen Vergütungsforderung für die Versorgung von Versicherten der Beklagten und Berufungsbeklagten mit Stoma-Hilfsmitteln für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.08.2011.
Die Klägerin betreibt ein Sanitätshaus in A-Stadt und ist Mitglied des Fachverbandes für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. Sie verfügt seit dem 01.12.1997 über eine Zulassung zur Abgabe von Hilfsmitteln (u.a. zur Abgabe von Stomaartikeln). Seit 1989 werden Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen mit Stoma- Artikeln versorgt. Sie beschäftigte einen Orthopädietechnikmeister und neben weiteren Mitarbeitern zwei Krankenschwestern zur Abgabe von Stomahilfsmitteln, jedoch keinen Stomatherapeuten.
In einem Rahmenvertrag über die Versorgung mit orthopädischen Heil- und Hilfsmitteln zwischen der Landesinnung Bayern für Orthopädie-Technik und den Landesverbänden der gesetzlichen Krankenkassen vom 12.12.1978 sind die Voraussetzungen für die Versorgung von Anspruchsberechtigten der Krankenkassen in Bayern durch das Bandagisten- und Orthopädiemechanikerhandwerk geregelt (§ 1 Abs. 2 des Rahmenvertrages). In der Leistungsbeschreibung der Produktgruppe Stoma-Artikel erfolgt eine Auflistung mit Festbetrag. Die Anleitung und Beratung müssen nach den grundsätzlichen Anforderungen der Selbsthilfeorganisation Deutsche ILCO e.V. (Selbsthilfevereinigung für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs) vom 13.01.2008 durch eine Fachschwester/-pfleger mit Weiterbildung Stoma in anerkannten Weiterbildungsstätten erfolgen.
Nach dem Entwurf eines Vertrages nach § 127 Abs. 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie von 2008 besteht die Beratungspflicht der Versicherten durch die Leistungserbringer im Sinne einer qualitätsgesicherten Stoma-Versorgung (§ 4 des Vertragsentwurfes). In der Resolution der Bundesdelegiertenversammlung der Deutschen ILCO vom 14.06.2008 wird gefordert, beim Abschluss von Leistungsverträgen die Festlegung für eine patientenorientierte qualitätsvolle Versorgung der Leistungserbringer sehr detailliert zu formulieren.
Die Arbeitsgemeinschaft der K...