Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenkasse: Sachleistungsanspruch nach Verlust des Status "Grenzgänger in Rente"
Leitsatz (amtlich)
1. Wechselt ein bisheriger “Grenzgänger in Rente„ seinen Wohnsitz in den früheren Beschäftigungsort, verliert er den Status als “Grenzgänger in Rente„.
2. Es besteht dann kein Sachleistungsanspruch im ehemaligen Wohnmitgliedstaat zu Lasten der deutschen Krankenkasse mehr.
3. Ein Anspruch ergibt sich bereits nach dem Wortlaut und der Rechtsfolge nicht aus Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004.
4. Eine entsprechende Anwendung des Art. 28 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 kommt in dieser Fallgestaltung nicht in Betracht.
5. Auch ein Anspruch aus Art. 5 b VO (EG) 883/2004 scheidet aus.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als ehemaliger Grenzgänger einen Sachleistungsanspruch im ehemaligen Wohnmitgliedstaat Österreich zu Lasten der beklagten Krankenkasse hat.
Der 1950 geborene Kläger österreichischer Staatsangehörigkeit ist seit dem 01.08.2010 Rentner und lebt seit Januar 2012 in Deutschland. Neben einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung bezieht er eine österreichische Pension und eine Betriebsrente seines früheren Arbeitgebers (Firma W., C-Stadt).
Er war von 1974 bis 31.07.2010 Grenzgänger, wohnhaft in B-Stadt (Österreich) und beschäftigt in C-Stadt (Deutschland). Ab dem 01.08.2010 wurde er als sogenannter "Grenzgänger in Rente" von der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse betreut. Im Januar 2012 verzog er nach A-Stadt (Deutschland) und ist seither Mitglied in der KVdR der Beklagten.
Mit Schreiben vom 26.06.2014 beantragte der Kläger "Vollkostenerstattung bei Facharztbesuch und stationärer Krankenhausbehandlung in B-Stadt". Seit seinem Wohnsitzwechsel nach Deutschland im Januar 2012 sei er ausschließlich bei der Beklagten krankenversichert. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er mit dem Wohnsitzwechsel seinen Grenzgängerstatus und damit die freie Arztwahl verloren habe, was dazu führe, dass er bei ambulanten Behandlungen in Österreich einen erheblichen Eigenanteil zu zahlen habe. Bei stationären Krankenhausaufenthalten rechne die AOK nur in Notfällen direkt mit dem Krankenhaus ab. Da seiner Kardiologin und auch dem Krankenhaus B-Stadt seine Krankengeschichte seit Januar 1991 bestens bekannt sei und er sich dort gut aufgehoben fühle, beantrage er weiterhin volle Kostenerstattung bei Inanspruchnahme der genannten Einrichtungen.
Mit Schreiben vom 27.06.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen die gewünschte volle Kostenerstattung für ambulante und stationäre Behandlungen in Österreich nicht möglich sei. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2014 unter Hinweis auf die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut eingereicht und erklärt, er habe aufgrund seiner Beschäftigung bei der Fa. W. AG von 1974 bis zum Renteneintritt 2010 gemäß Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den Status als "Grenzgänger in Rente" und damit den vollen Leistungsanspruch in Deutschland und Österreich erworben. Diesen Leistungsanspruch in beiden Staaten habe er aufgrund seines Wohnsitzwechsels nicht verloren. Nach Art. 28 Abs. 4 der VO (EG) 883/2004 verliere er den Grenzgängerstatus nur dann, wenn er eine Beschäftigung im Wohnland aufnehme. Ihm dürften bereits erworbene Ansprüche in beiden Kassen nicht durch den nachträglichen Wohnsitzwechsel verloren gehen.
Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass der Kläger nur dann weiterhin "Grenzgänger in Rente" wäre, wenn er seinen Wohnort noch in Österreich hätte. In diesem Fall könnte er neben seinem Leistungsanspruch in Österreich mittels der Anspruchsbescheinigung S 3, die in diesem Fall vom österreichischen Krankenversicherungsträger auszustellen wäre, weiterhin Leistungen in Deutschland beziehen. Der Kläger habe aber seinen Wohnort nach Deutschland verlegt, dementsprechend entfalle der Status des "Grenzgängers in Rente".
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG Landshut stellte der Kläger klar, es gehe ihm darum, weiterhin freie Arztwahl in Deutschland und Österreich zu haben. Im Ergebnis wolle er die österreichische und die deutsche Versichertenkarte.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.06.2015 abgewiesen. Der Kläger habe weder Anspruch auf Feststellung, dass er weiterhin "Grenzgänger in Rente" im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 sei, noch sei die beklagte Krankenkasse verpflichtet, "sämtliche ambulante bzw. stationäre Behandlungskosten, die in Österreich anfallen" zu übernehmen. Auch die beantragte Bescheinigung S 3 für den österreichischen Krankenversicherungsträger könne von der beklagten Krankenkasse nich...