Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletztenrente. Minderung der Erwerbsfähigkeit. Funktionelle Beeinträchtigung. Ursächlicher Zusammenhang. Beweiswürdigung. Fußheberschwäche. Depressive Störung
Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung der MdE bei einem unfallbedingten Bandscheibenvorfall in Höhe LWK 4/5.
Orientierungssatz
1. Wirken sich die Folgen einer Fußheberschwäche rechts aufgrund einer erhöhten Schmerzvulnerabilität für den Versicherten verstärkt aus, so kann dies eine Teil-MdE von 20 v.H. rechtfertigen.
2. Urologische Unfallfolgen (hier: neurogene Blasenfunktionsstörung, reduzierte Druckleistung der Blase, schmerzbedingte Sexualstörung) können mit einer Teil-MdE von 20 v.H. zu bewerten sein.
3. Überlappen sich Bewegungseinschränkungen im rechten Bein und die damit verbundenen Schmerzen einerseits und urologische Auswirkungen andererseits nicht, ist es gerechtfertigt, sie bei der Bildung der Gesamt-MdE aufzuaddieren.
Normenkette
SGB VII § 56; SGG § 128 Abs. 1 S. 1
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10. August 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger ein Siebtel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten anlässlich eines Unfalls vom 31.01.2006 über die Höhe der nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zu gewährenden Verletztenrente.
Am 31.01.2006 gegen 16.45 Uhr erlitt der Kläger (= Kl.) einen Unfall, als er während seiner Tätigkeit als Monteur bei der Fa. C. B. GmbH in S. ein Ende eines sehr schweren Rohres in der Hand hielt, ausrutschte und dabei rückwärts gegen eine Betonrampe stieß, wobei er das Rohr nicht aus den Händen fallen ließ, damit ihm dieses nicht auf die Füße fiel. Nach dem Unfall konnte er das rechte Bein nicht mehr bewegen, stellte seine Arbeit sofort ein und begab sich noch während der Arbeitszeit ins Krankenhaus H. Dort wurde er trotz einer Prellung des rechten Beckens für arbeitsfähig befunden. Gleichwohl nahm er danach seine Arbeit nicht wieder auf. Am 27.02.2006 stellte sich der Kläger mit erheblichen Lumboischialgien beim Chirurgen W. vor. Dieser bescheinigte ihm, seit 31.01.2006 arbeitsunfähig zu sein.
Am 28.02.2006 erfolgte eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule (LWS), bei der ein Bandscheibenvorfall LWK 4/5 festgestellt wurde mit Wurzelreiz L4 rechts und eventuell auch L5 rechts. Der Neurologe Dr. N. stellte am 10.03.2006 ein sensibles Defizit mit Fußheberschwäche rechts und Beschwerden beim Wasserlassen fest und schlug deswegen eine operative Behandlung vor. Am 15.03.2006 erfolgte die Operation im Krankenhaus I. mittels Nukleotomie.
Mit Bescheid vom 04.08.2006 lehnte die Beklagte (= Bekl.) ab, das Ereignis vom 31.01.2006 als Arbeitsunfall anzuerkennen, da der Bandscheibenvorfall L4/5 schicksalhaft und damit unfallfremd sei. Den folgenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2007 zurück.
Im Zuge des folgenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Augsburg (Az. S 8 U 48/07) erstellte der Chirurg Dr. W. das Gutachten vom 16.05.2007. Danach habe der Kläger am 31.01.2006 einen Bandscheibenvorfall LWK4/5 erlitten. Unfallbedingt bestünden ein schweres Postnukleotomiesyndrom bei Zustand nach operativer Versorgung eines Bandscheibenvorfalls LWK4/5 rechts mit neurologisch gesicherten Ausfallerscheinungen im Bereich der Muskel- und Gefühlsnerven, eine Muskelminderung am rechten Bein sowie erhebliche glaubhafte Beschwerden mit der Notwendigkeit, Schmerzmittel einnehmen zu müssen.
Die Beklagte schloss sich der Einschätzung des Gerichtssachverständigen Dr. W. an und gab mit Schriftsatz vom 07.08.2007 dahingehend ein Anerkenntnis ab, dass sie den angefochtenen Bescheid vom 04.08.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 zurücknahm, den Unfall vom 31.01.2006 als Arbeitsunfall anerkannte und feststellte, dass durch den Arbeitsunfall der Bandscheibenvorfall LWK 4/5 verursacht worden war. Dieses Anerkenntnis wurde vom Kläger am 24.08.2007 angenommen.
Die Beklagte zog anschließend u.a. den Entlassungsbericht der B. K. F. vom 18.01.2007 bei. Danach beklagte der Kläger starke lumbale Rückenschmerzen. Auch nach der Neukleotomie hielten das Taubheitsgefühl des rechten Beines und die Schwäche des rechten Fußes an. Über Probleme beim Wasserlassen oder Stuhlgang berichtete der Kläger nicht. Nach dem MDK-Gutachten vom 13.03.2007 litt der Kläger unter rezidivierenden Lumboischialgien bei Zustand nach Nukleotomie L4/5, einem zervikobrachialen Schmerzsyndrom mit muskulären Verspannungen sowie einem psychovegetativen Erschöpfungssyndrom. Die Heilverfahrenskontrolle in der Unfallklinik M. vom 20.11.2007 offenbarte ein anhaltendes Schmerzsyndrom mit deutlich linkshinkendem Gangbild. Nach dem Abschlussbericht der Unfallklinik M. vom 06.12.2007 über den stationären Aufenthalt vom 21.11.2007 bis 05.12.2007 ber...